Neuausgabe des „Weißen Albums“ Als die Beatles ihre Unschuld verloren

Düsseldorf · Das Weiße Album feiert 50. Geburtstag. Die faszinierend undisziplinierte Doppel-LP läutete das Ende der Band ein.

 Die berühmten Fotos, die dem Weißen Album beilagen: John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison (im Uhrzeigersinn).

Die berühmten Fotos, die dem Weißen Album beilagen: John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison (im Uhrzeigersinn).

Foto: dpa/John Kelly

Das Weiße Album ist das härteste Stück Beatles, das es gibt. Ein faszinierender, mitunter irrer Stilmix aus Proto-Metal, Klangcollage, Folk, Country, Rock & Roll, Kitsch und Schubidu. Kein roter Faden, sondern Haribo-„Colorado“ in akustisch: Die Krach-Schwarte „Helter Skelter“ etwa wurde brutal zwischen die feingeistigen Spezereien „Sexy Sadie“ und „Long, Long, Long“ geschlagen. Im Grunde ist das sogar überhaupt kein Album, sondern ein Baukasten, aus dem sich jeder seine Beatles selbst zusammenbasteln kann. Die Leute kauften es, sie hängten die beiliegenden Beatles-Porträts auf, und dann überspielten sie die Lieder der zwei LPs in anderer Reihenfolge auf Kassette. Jeder kuratierte also sein individuelles Beatles-Album aus dem vorhandenen Material, und bei vielen dürfte das wilde Soundgeschnipsel „Revolution #9“ hintenüber gefallen sein. Inzwischen gilt es als kongeniale Vertonung des widerständigen Jahres 1968, aber von damals aus betrachtet war es einfach zu krass.

Das Weiße Album (das in Wirklichkeit schlicht „The Beatles“ heißt) wird 50, und diese Platte ist die erste, auf der die Beatles Männer sind; seit dieser Veröffentlichung ist die Popmusik erwachsen. Sie stritten sich im Studio, Yoko Ono war immer dabei, und sie tanzte einen Walzer mit John, während George sein „While My Guitar Gently Weeps“ aufnahm: Das war eine sarkastische Geste, die beiden fanden das Stück betulich. Ebenso wie Pauls „Granny-Song“ „Ob-La-Di, Ob-La-Da“, an dem die Beatles eine Woche lang jeden Tag zehn Stunden arbeiteten. Paul wollte im Gegenzug nicht, dass Johns „Revolution“ auf die Platte kam, John forderte indes, es sollte die nächste Single werden. Ringo hielt es nicht mehr aus, „so viel Egoismus!“, klagte er. Er verließ die Band, und keiner hielt ihn auf. „Muss ich das halt auch noch machen“, soll Paul gesagt und sich an die Trommeln gesetzt haben. Ringo floh in die Ägäis, erst nach zwei Wochen holten die anderen ihn zurück. Immerhin schmückten sie sein Schlagzeug mit Blumen.

Glücklich war niemand mit dem über vier LP-Seiten ausgreifenden Werk. George und Ringo wollten das Material zu einem regulären Album komprimieren. Aber der Machtkampf zwischen John und Paul sorgte dafür, dass auch Stücke wie „Bungalow Bill“ und „Honey Pie“ auf die Platte kamen, obwohl sie bloß B-Seiten-Qualität hatten. „Einige halten es für die beste Beatles-Platte“, sagte der für seine Perfektion verehrte Produzent George Martin später mit steifer Oberlippe, „aber das ist nicht meine Meinung“.

Es war eine schwierige Zeit für die Beatles. Ihr Manager und Mentor Brian Epstein war tot, und das „Sgt. Pepper“-Album konnte man kaum übertreffen. Also fuhr man nach Indien: teambildende Maßnahme, bisschen mit dem Maharishi Mahesh Yogi meditieren. Ringo reiste ab, nachdem sein Vorrat an importierten Baked Beans aufgebraucht war, Paul sagte nach einem Monat Goodbye, George war ohnehin tiefenentspannt, und John beschloss die Trennung von seiner Frau Cynthia: Er war verliebt in Yoko Ono. Für alle bedeutete der Trip indes einen Energieschub: Sie schrieben Songs am laufenden Band, selbst Ringo feierte die Geburt seiner ersten Solonummer: „Don’t Pass Me By“.

Bevor die Beatles ins Studio an der Abbey Road gingen, trafen sich Paul, George und John im Bungalow von George in Esher im Südwesten Londons. Diese „Esher-Sessions“ gelten als Schatzkammer, sie kursierten bisher nur als Bootleg, nun erscheinen sie offiziell, und sie machen die ohnehin tolle Jubiläumsausgabe des Weißen Albums zum Ereignis. Die Beatles spielten ihre Lieder akustisch, kein Strom, sondern Lagerfeuer-Atmosphäre, da musizierten Freunde, und man sitzt mitten unter ihnen. Große Wehmut.

John brachte 15 Lieder mit, Paul sieben, George fünf, und die allermeisten sind Juwelen. „Back In The USSR“, „While My Guitar“, Blackbird“. In diesen Sessions klingen die Songs frischer, stärker nach den früheren Beatles, die einfach so drauflosspielten. Und hoffentlich sieht die Welt nun endlich, wie groß der Beitrag von George ist: Seine Stücke „While My Guitar“, „Long, Long, Long“ und „Savoy Truffle“ gehören zu den Höhepunkten. Wie kreativ die Gruppe war, zeigt sich darin, dass sie hier bereits Material für das später erscheinende Album „Abbey Road“ skizzierte („Polythene Pam“ / „Mean Mr. Mustard“) und dass John schon seinen künftigen Hit „Jealous Guy“ summte, der zu diesem Zeitpunkt noch „Child Of Nature“ hieß.

Die „Esher-Sessions“ zu hören, ist ein großes Glück. Auf dem Album wirken einige der dort erstmals gespielten Stücke dann zu Tode produziert – kein Wunder, es wurden ja bis zu 110 Takes von einem Lied aufgenommen. Auf dem Weißen Album erlebt man die Beatles in Auflösung, deshalb leuchten die Momente der Freundschaft umso heller. Man spürt eine Sehnsucht nach dem Früher. Paul und John singen oft von der Natur, und vielleicht meinen sie den Naturzustand der Beatles, der nur so wenige Jahre zurückliegt. Zwischen den Stücken brannte noch Licht.

Es wurde ausgeknipst, als Charles Manson in „Helter Skelter“ eine Aufforderung zum Morden hörte. Zu seinen Opfern gehört auch eine Ära. Die 60er Jahre sind tot.

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