Staatskapelle Berlin Stardirigent Daniel Barenboim soll jahrelang Musiker drangsaliert haben

Berlin · Mehrere Mitglieder der Berliner Staatskapelle werfen ihrem Dirigenten derzeit Schikane und Mobbing vor. Daniel Barenboim befindet sich damit in guter Gesellschaft. Wie weit darf ein Maestro für Höchstleistungen seiner Musiker gehen?

 Generalmusikdirektor Daniel Barenboim steht im Saal der sanierten Staatsoper. (Archivfoto, September 2017)

Generalmusikdirektor Daniel Barenboim steht im Saal der sanierten Staatsoper. (Archivfoto, September 2017)

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Das Thema war bekannt, doch im Windkanal der MeToo-Debatte wurde seine Brisanz unübersehbar und erhitzt jetzt die Gemüter. Hat der Dirigent Daniel Barenboim Musiker der Staatskapelle Berlin in den Proben jahrelang gedemütigt, eingeschüchtert, zur Schau gestellt – oder waren diese Maßnahmen ein Mittel zum höheren künstlerischen Zweck? Hat er in der Berliner Staatsoper ein Klima der Angst verbreitet? Oder darf, wer Großes erstrebt und einem Orchester seinen Künstlerwillen einimpfen will, cholerisch und verletzend sein?

Jedenfalls haben sich dieser Tage mehrere Musiker – nach jahrelangem Schweigen – geoutet und Barenboims Verhalten im Klassik-Onlinemagazin „Van“ sowie im Bayerischen Rundfunk angeprangert. Seitdem tobt im Netz eine Schlacht um Führungsqualitäten von Dirigenten. Der Berliner Orchestervorstand hat seinem Chef das Vertrauen ausgesprochen.

Die Musikgeschichte kennt etliche despotische Pultstars; in der Abteilung „berühmt und berüchtigt“ fallen einem Arturo Toscanini, Sergiu Celibidache, Fritz Reiner, George Szell oder Karl Böhm ein. Zugleich gibt es zahllose Dirigenten, die penetrant und doch menschlich sein können; etwa Kirill Petrenko, der künftige Chef der Berliner Philharmoniker.

Dirigenten sind keine besseren oder schlechteren Menschen als andere Chefs auch. Die Stinkstiefel, die ihren Mitarbeitern nicht einmal „Guten Tag“ wünschen, gibt es ebenso wie die Dauerfreundlichen, deren Gelächle einen zur Weißglut bringt. Schwerer erträglich sind Attacken auf die Würde eines Menschen. Wer sich gegen Mobbing von oben wehrt, bekommt vielleicht Recht, aber auch einen Feind fürs Leben, der im ungünstigen Fall am längeren Hebel sitzt.

Der Unterschied zwischen dem Firmenboss und dem Dirigenten liegt darin, dass das Versagen im Betrieb der Aufsichtsrat registriert und mit Sanktionen belegen kann. Das Publikum im Konzert merkt es meist nicht, wenn „da oben“ auf dem Podium weder Enthusiasmus noch Virtuosität herrschen – das spürt nur der Dirigent selbst. Wo aber sucht der die Schuld? Bei den Mitarbeitern. Dies ist ein Phänomen, das Elias Canetti im Dirigenten-Kapitel von „Masse und Macht“ eindrucksvoll beschreibt.

Die Bewunderung eines angeblich Gottgleichen entspringt einer Berliner Andachtshaltung, die bei rationaler Betrachtung seiner Einspielungen nicht angebracht ist. Es gibt nämlich erstaunlich viele mittelmäßige Barenboim-Aufnahmen. Als Wagner-Dirigent etwa in Bayreuth hat er Bedeutendes geleistet, doch seine Berliner Beethoven-Sinfonien wirken teigig (etwa die „Pastorale“), und sein Bruckner dröhnt nur.

Auch auf dem Klavier viel Fragwürdiges: Vor einiger Zeit entledigte sich Barenboim in der Düsseldorfer Tonhalle einiger Schubert-Sonaten mit einer Lässigkeit, die auch groteske Spiel- und Gestaltungsfehler einschloss. Die Ämterfülle, die Barenboim zu Tänzen auf 1001 Hochzeiten zwingt, hat offenbar zur Verblendung geführt. Er begreift nicht, dass seine künstlerische Kompetenz der Vielzahl seiner Verpflichtungen nicht mehr standhält.

Lange hat die Branche von Barenboims Verhalten gewusst und geschwiegen, erst jetzt meldet sie sich. Wird es ihm gehen wie dem US-amerikanischen Dirigenten James Levine, von dem man immer munkelte, er habe kleine Jungen sehr gern? Kaum wurde die Sache mit Wucht öffentlich, war es um Levine guillotinenhaft geschehen. Da liegt der Fall Barenboim anders.

Barenboim hat eingeräumt, „temperamentvoll“ und „kein Lamm“ zu sein, er sei zum Gespräch bereit. Die Frage ist indes, ob Betroffene das Gespräch mit einem Mann, den sie für ihren Drangsalierer halten, überhaupt suchen. Die Versicherung von Staatsopern-Intendant Matthias Schultz, „dass Konflikte, die es selbstverständlich auch an einem Opernhaus gibt, bewusst und konstruktiv angegangen“ würden, gibt Ahnungen Raum, was da in der Löwengrube vorgefallen sein muss.

Barenboim ist ein schätzenswerter Musiker, dem gewaltige Verdienste um die Völkerverständigung zu danken sind. Wenn es ihm gelänge, diese humanistische Einstellung auf den geopolitisch überschaubaren Rahmen von Berlin-Mitte auszuweiten, wäre viel gewonnen. Der Künstler, jetzt angeschossen wie ein Platzhirsch, wird gewiss in nächster Zukunft sehr freundlich proben. Und es kann sein, dass Barenboims Aufführungen von seiner Läuterung sogar profitieren – weil Musiker ohne Angst einfach besser spielen. Das können sich auch die Nicht-Berliner nur wünschen.

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