Popstar Blümchen gibt Comeback Herz an Herz

Hünxe · Sie war Deutschlands erfolgreichste Sängerin der 90er Jahre. Nun ist Blümchen zurück. Begegnung beim Punk-Festival Ruhrpott Rodeo.

Star der 90er in Hünxe: Wie Blümchen ihr Comeback feiert
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Wie Blümchen ihr Comeback feiert

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Foto: Christoph Reichwein (crei)

Es ist bald zwei Stunden her, dass Blümchen „Herz an Herz“ gesungen hat, als sich ein Mann mit blauem Irokesenschnitt nähert und um zwei Autogrammkarten bittet. „Für meine Töchter“, sagt er, während er sich auf die Bierbank gegenüber setzt. „Die haben früher auch den ganzen Scheiß gehört.“ Und als er merkt, dass das nun gegen Blümchen ging, rettet er sich: „Tokio Hotel und so“.

Es ist das Ruhrpott Rodeo, Deutschlands größtes Punk-Festival. Es findet am Flugplatz Schwarze Heide in Hünxe statt, und für dieses Jahr hatte man sich dort etwas Besonderes einfallen lassen: Blümchen. Die war einmal die erfolgreichste Sängerin hierzulande, in den 90ern hat sie drei Millionen Platten verkauft. Sie hatte ein paar Riesenhits: „Kleiner Satellit“ und „Boomerang“. Und, na klar, „Herz an Herz“. Und als es nicht mehr ganz so rund lief, beendete sie ihre Karriere. Nach vier Alben und sechs Jahren war Schluss. Aus Blümchen wurde Jasmin Wagner. Sie gab an, surfen lernen und rucksackreisen zu wollen. Sie war 21 und mal ein Star.

Das ist nun 18 Jahre her, Wagner hat in der Zwischenzeit viel Theater gespielt, sie hat ein Album unter ihrem bürgerlichen Namen herausgebracht, an dem sie gemeinsam mit Gitarrist und Sänger Bernd Begemann arbeitete. Sie war in zahlreichen Fernsehserien zu sehen und hat bei „Let’s Dance“ den vierten Platz belegt, hinter Giovane Elber.

Jetzt ist sie zurück. Blümchen erlebt einen zweiten Frühling. Ende März feierte sie ihr Comeback bei einer 90er-Party in der Schalke-Arena. 60.000 Fans. Die Vengaboys, David Hasselhoff, Blümchen. Seitdem ist die 39-Jährige auf einer Revival-Tournee unterwegs, mit dabei sind Oli P., East 17 und die Sängerin von Ace Of Base. Regensburg, Ravensburg, Ludwigsburg.

Zwischenstopp am vergangenen Wochenende in Hünxe im Kreis Wesel. Ein Auftritt zwischen der Melodic-Hardcore-Band Ignite und der Ska-Punk-Band Sondaschule. Ungewohnter Halt auf der Reise in die Vergangenheit.

Man muss wissen, dass es auf dem Festival seit langem ein Blümchen-Camp gibt. Das Publikum habe sich ihren Auftritt über Jahre gewünscht, erzählt Alex Schwers, Schlagzeuger der Punkbands Die Mimmi’s und Slime. Außerdem ist er Veranstalter des Ruhrpott Rodeos. Viele seiner Gäste seien mit Blümchen aufgewachsen, sagt Schwers. „Das ist so ein Trashkult geworden.“

Als er ihren Auftritt vor gut zwei Monaten bei Facebook ankündigte, gab das ein großes Hallo. Viel Beifall. Stürme der Entrüstung. Die Bedenkenträger stellten die Gretchenfrage: Ist das noch Punk?

Schwers findet, ja klar. Jasmin Wagner ist es egal. Sie hatte in einem Interview mit dem Punk-Fanzine „Plastic Bomb“ sogleich angekündigt, nichts Besonderes einzuplanen. Keinen Auftritt mit Punkband oder so. Die Leute hätten Blümchen verlangt, sie sollten Blümchen bekommen. Das heißt eben auch: Techno vom Band.

Zu Beginn ihrer Show sitzt sie auf einem weißen Podest, hinter ihr ein weißes Herz. Sie trägt einen roten superheldinnenmäßigen Body. Es ist derselbe, den sie neulich im Fernsehgarten trug. Sie singt „Ich bin wieder hier“ von 1998, und die Leute drehen durch. Halbvolle Becher fliegen, Menschen lassen sich auf Händen tragen. Hinten links steht Wagners Managerin und filmt für Instagram.

Blümchen sagt: „Ich bin gekommen, um euch in Grund und Boden zu raven.“ Es gibt anstandshalber ein paar wenige Buh-Rufe, sie werden alsbald – „Blümchen! Blümchen!“ – niedergebrüllt. Blümchens Tänzerinnen tragen rote Plüschherzen, es gibt aufblasbare Einhörner und zweierlei Arten von Schmetterlingsflügeln auf der Bühne; Fahrräder für die Techno-Version von Queens „Bicycle Race“. So viel Material, dass es sich ständig in die Quere kommt. Die Bühne ist so groß wie beim Stadtfest in Wanne-Eickel.

Blümchen spielt 40 Minuten und eine Zugabe, was nicht vorgesehen ist, auf der Hauptbühne haben in Hörweite schon Sondaschule begonnen. Da müsse sie sich noch mal entschuldigen, sagt sie später. „Das war wohl ziemlich Punk von mir.“

Es ist eine halbe Stunde nach ihrem Konzert, sie hat hinter der Bühne Fotos gemacht, mit jedem, der wollte, und alle wollten. Nun sitzt sie an einer Bierzeltgarnitur im Backstage-Bereich, sie hat einen Becher Sprudelwasser vor sich stehen und trägt immer noch den roten Anzug. Sie ist sehr schlau und sehr schnell, und sie spricht wie gedruckt. Frage: Was soll das mit diesem 90er-Trend? Antwort: „Wenn jetzt all die 90er-Kids, die heute in meinem Alter sind, auf die Festivals gehen und diese Musik feiern, dann hat das natürlich mit Gefühlen zu tun, mit Sehnsucht und mit Nostalgie, mit dem Wunsch, sich noch einmal so frei zu fühlen. Damals war alles undefiniert, unsere Zukunft unklar. Heute sind wir verheiratet, haben Kinder, sind geschieden, haben Druck im Job und reiben uns auf. Insofern ist es eine schöne Entladung, sich noch einmal mit dieser Musik zu verbinden.“

Wagner hat den Trend nicht mitbegründet, sie war zur Stelle, als die Nachfrage groß genug wurde; irgendwann, das weiß sie, wird sie wieder nachlassen. Erste Symptome zeichnen sich ab: Bei Zalando sind die Plateauschuhe von Buffalo zurzeit um bis zu 45 Prozent reduziert. Also, wie lange geht das gut? „Ich surfe gerade auf dem Peak der Welle und tauche langsam in die Tube ein“, sagt Wagner, und man merkt jetzt: Sie ist wirklich Surferin geworden. „Ich werde nicht so lange weitermachen, bis niemand mehr 90er-Beats hören möchte.“ Sie begegne der Blümchen-Zeit mit gewissem Abstand. „Ich kann heute Blümchen sein, muss aber nicht.“

Zwischendurch steht sie auf, die Leute möchten Fotos mit ihr machen. Alex Schwers kommt vorbei, sie umarmen sich. „Hat doch super funktioniert!“ Der Altpunk mit dem blauen Iro setzt sich, sie erzählt ihm von ihrem Duett mit Ärzte-Drummer Bela B. Das ist 18 Jahre her.

Wir wollen wissen, wie sie denn der Gegenwart begegnet. Blümchen hatte schon 1996 in der „Bravo“ gefordert, dass alles getan werden muss, um die Umwelt zu erhalten. Da war sie 15 Jahre alt. Haben die Kinder der 90er nicht versäumt, sich zu engagieren? Auch damals sei schon klar gewesen, dass die Erwachsenen viel falsch machen, sagt Wagner, nun werde das noch viel deutlicher. Den Wunsch, sich zu engagieren, habe es gegeben, nur die Möglichkeiten seien heute andere, um sich zu vernetzen und zu mobilisieren. „Die haben Whatsapp-Gruppen, wir hatten Telefonlisten. Bis wir die durchhatten war Abend, und du konntest schlafen gehen.“

Mit ihren Patenkindern gehe sie auch schon mal mit auf eine „Fridays for Future“-Demo, erzählt sie. „Die haben keine Lust mehr, mit mir ins Kino zu gehen, die sind damit beschäftigt, Plakate zu kleben.“ Wird sie dann auf den Demos erkannt? Jasmin Wagner sagt: „Von den Kindern nicht.“

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