Einziges Deutschlandkonzert Bob Dylan rockt mit 65 Gelsenkirchen

Gelsenkirchen (rpo). Andere gehen mit 65 in Rente, freuen sich auf ein bisschen wohlverdiente Ruhe und lassen die Jungen machen. Nicht so Bob Dylan. Dafür hat die Musik-Legende auch den denkbar schlechtesten Job. Schließlich wollen die Fans ihn nicht missen, was bei seinem einzigen Deutschland-Konzert am Sonntag in Gelsenkirchen schnell klar wurde.

Bob Dylan feiert 70. Geburtstag
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Foto: dapd

Die Zeiten, in denen Bob Dylan wie ein Geist seiner selbst durch die Welt spukte, scheinen vorüber: Beim Konzert zeigte er sich dynamisch, spielfreudig und bei klarer Stimme wie lange nicht mehr. Dylan zelebrierte aus seinem unerschöpflichen Fundus 15 Lieder in 100 Minuten - mal rockig bis zum ZZ-Top-Härtegrad, mal mit schluchzender Lap-Steel-Gitarre mehr am Country und ganz oft eine Symbiose aus beiden Stilrichtungen, die ihm mit so leichter Hand früher nicht immer gelungen war.

Der kleine, schmächtige Mann kam in einem dunklen Anzug auf die Bühne und setzte sich als erstes einen schwarzen Stetson auf, bevor er in das nicht ganz volle Amphitheater blickte. Das Open-Air-Ambiente am Rhein-Herne-Kanal schien ihn zu einer meist rockig rollenden Musik zu inspirieren, bei der vielleicht nur noch der im Hintergrund vorbeischwebende Mississippi-Raddampfer fehlte. Wie schon mehrfach bei seiner Ende Juni begonnenen Europa-Tournee begann Dylan mit dem Aussteiger-Song "Maggie's Farm", der laut und rockend, aber nicht mit bis zum Anschlag verzerrter Wut wie in früheren Tagen gespielt wurde. Das sich daran anschließende "The Times They Are A-Changin'" wurde verfremdet, aber nicht ironisiert: Dylan scheint das Lied zur Zeit wieder ernst zu nehmen. "Down Along The Cove", auf LP sicherlich nicht Dylans bestes Werk, kam mit einer Dynamik und einem Tempo, das man ihm nach den Touren der vergangenen beiden Jahre nicht mehr zugetraut hätte - Dylan groovte mit seiner Band wie lange nicht mehr.

Arthritis in den Händen?

Um Dylans Gesundheitszustand gibt es Gerüchte, seit er nicht mehr Gitarre spielt. Das Keyboard ist nach den harten E-Piano-Klängen der frühen Phase auf einen Kirmes-Orgel-Klang eingestellt, mit dem Dylan souverän die Harmonie- und Rhythmusgestaltung seiner Gitarristen Stu Kimball (Rhythmus), Denny Freeman (Lead) und Donnie Herron (Pedal-, Lap-Steel) dirigiert. Wegen Arthritis in den Händen könne er selbst nicht mehr Gitarre spielen, raunt es im Konzertpublikum und auch im Internet. Offizielle Mitteilungen dazu gibt es nicht. Zu sehen und zu hören war aber in Gelsenkirchen, dass Dylan über den von was auch immer erzwungenen Verzicht auf das Gitarrenspielen hinweggekommen ist.

Wenn dann als vierter Song ein fast vergessenes Lied wie "Señor" kommt, klingt das so, als ob Dylan einen Kommentar zur politischen und wirtschaftlichen Lage abgeben wolle: Seht und hört, ich habe doch schon vor gut 30 Jahren gesagt, dass kapitalfördernde Globalisierung auf Kosten der Armen geht. "Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again" wechselt wieder zur wortgewandten Ironie über, bevor "I'll Be Your Baby Tonight" in einer Version erschallt, als ob Dylan seinen Anteil an der euphorischen WM-Stimmung einfordern wollte. Das durchaus internationale - viele britische, niederländische, belgische, italienische und französische Fans waren im 6.100 Personen fassenden Amphitheater - gingen ebenso überrascht wie begeistert mit.

Noch immer gebraucht

Das wesentlich neuere "Honest With Me" kam als unverwüstlicher Blues-Rock, "Mr. Tambourine Man" verfremdete Dylan mit seinem berüchtigten "Up-Singing", bei dem die letzte Silbe oder das letzte Wort einer Zeile penetrant nach oben gedehnt und gezogen wird. "Das sind schließlich seine Songs, der darf das", meinte eine trotzdem angetane Konzertbesucherin.

Okay, "Highway 61 Revisited" kommt dann mit einer Wucht, als ob sich ZZ Top des Klassikers angenommen hätten. "I Got You" nimmt das Tempo wieder hinaus, um zu einer intensiven Version von "Forever Young" überzuleiten. Jazzy-bluesig beendet "Summer Days" den offiziellen Teil; als Zugaben gibt es "Like A Rolling Stone" und "All Along The Watchtower". Letzteres in einer psychedelischen Version, als ob insgeheim Jimi Hendrix dabei wäre.

Am 24. Mai wurde Bob Dylan 65 Jahre alt. Und noch immer ist diese Stimme einer Generation wider Willen in der Lage, zwar nicht sich selbst, aber seine Songs immer wieder neu zu erfinden und zu präsentieren. Keiner verändert bei seinen Tourneen Programm und Musikarrangements so intensiv wie Dylan. Ein neues Album, "Modern Times" ist nach fünfjähriger Pause angekündigt. Nicht nur Dylan-Jünger, die "Boblings", werden es brauchen.

(ap)