Auftritt in Düsseldorf Bob Dylan kann doch singen
Düsseldorf · Der 74-Jährige gab ein phänomenales Konzert in der Mitsubishi Electric Halle. Statt seiner großen Hits brachte er vor allem Standards fremder Komponisten. Er verbeugte sich damit vor Frank Sinatra.
Er hat uns all die Jahre an der Nase herumgeführt, er kann nämlich nicht bloß krächzen, sondern sehr wohl auch noch singen, und zwar wie ein junger Gott. Bob Dylan steht auf der Bühne, er schmeichelt und harmoniert sich durch "Autumn Leaves", ein Chanson aus den 40er Jahren, und es schmeckt wie warme Milch mit Honig. Dylan trägt einen weißen, schwarz abgesetzten Gehrock und einen weißen Hut; er sieht aus wie ein aus der Vergangenheit herüber gewehter Südstaaten-Dandy. Sieben mächtige Scheinwerfer gießen goldenes Licht auf den 74-Jährigen, und bei der Zeile "But I miss you most of all, my darling" möchte man jemanden umarmen, ganz fest, aber man macht das dann doch nicht, weil man sonst vielleicht was verpassen würde. Statt dessen faltet man die Hände.
Dylan tritt in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf auf, 3500 Menschen sitzen im bestuhlten Auditorium, und viele sorgen sich zu Beginn: Wie ist wohl seine Laune? Wird er wieder mit dem Rücken zum Publikum spielen? Kann man "Blowin' In The Wind" diesmal erkennen? Er ist dafür bekannt, dass er sein Werk als work in progress begreift, dass er es zerhackt und neu montiert; Hauptsache anders und eine Entsprechung der Gegenwart. Er entkernt seine Lieder, renoviert und tradiert sie, erhöht ihre Gültigkeit. Das zeigt, dass er nicht aufhört, an die Gegenwart zu glauben, an die Welt und an uns. Dylan-Konzerte sind selten nostalgisch, weil er sich beständig selbst dekonstruiert, und deshalb sollte man nicht die Alben als Hauptwerk begreifen, sondern die Auftritte während der "Neverending Tour", die 1988 begann.
Der erste Song des Abends ist "Things Have Changed", das Titellied des Films "Die Wonder Boys" mit Michael Douglas, für das Dylan 2001 den Oscar bekam. Die goldene Statue steht rechts auf der Bühne auf einem Lautsprecher, und Dylan singt, als seien seine Stimmbänder schartig. Manche Worte artikuliert er gar nicht, er malt mit Lauten, seine Zunge ist eine Rampe, über die Begriffe rutschen, und selbst das ist großartig. Man fragt sich ja immer, was wohl Leute über diesen verschrobenen alten Mann denken würden, die nichts von ihm wissen und ihm nun das erste Mal zuhören, und was man antworten würde auf die Frage, wieso der so toll sein soll. Vielleicht würde man auf Picasso verweisen: Dylans "Things Have Changed" ist so weit vom Original entfernt und genau so faszinierend wie die Frauenbildnisse in Picassos kubistischer Phase, die schön sind, obwohl die Porträtierten ihre Augen auf der Backe tragen.
Man wird aber nicht gefragt, hier weiß jeder, wie toll dieser Kerl sein kann, und inzwischen hat er heimlich mit Rosenöl gegurgelt. Er singt die Standards "What I'll Do", "I'm A Fool To Want You" und "Melancholy Mood", eine Hommage an Frank Sinatra, den er früher so gern gehört hat und dem er sein aktuelles Album "Shadows In The Night" widmete. Es liegt viel Liebe in diesen Interpretationen. Die fünfköpfige Band arrangiert sie mit Sorgfalt und Wärme, mit Kontrabass und zartem Picking. Die schlicht gestaltete Bühne ist so würdevoll ausgeleuchtet, im Stil des alten Hollywood, dass man sich nicht wundern würde, wenn gleich Esther Williams aus einem Tränenmeer stiege und Dylan mit feuchter Hand die Wange streichelte.
Ja, Dylan lässt an diesem Abend durchaus Wehmut zu, wohl wissend, dass Charme immer auch ein bisschen Gaunerei beinhaltet und dass das alles hier mit einem Augenzwinkern passiert. Es wird aber nie kitschig, und das liegt daran, dass er sich mit politischen Songs vor zu viel Eskapismus wappnet. Er bringt Stücke, die eindeutigen Bezug zu den Verheerungen der Welt vor den Toren der Halle haben: "Early Roman Kings", "Scarlet Town" und "Pay In Blood", und die beiden letztgenannten in dräuenden und unheimlichen Versionen, die mit so viel düsterem Swing dargereicht werden, dass man sie im Soundtrack zur Serie "True Detective" verwenden könnte.
Auf die Hits verzichtet er, es gibt also keinen "Rolling Stone" und "Watchtower", keine "Sad Eyed Lady" und nicht "Heaven's Door" — das soll ja kein Oldie-Festival werden. Dylan hat sich ein Publikum erzogen, das akzeptiert, dass er nur bringt, was er spielen will und nicht, was es hören möchte. Die meisten Songs stammen vom aktuellen Album und von dessen Vorgänger "Tempest". Sein Zugeständnis ist dann "Tangled Up in Blue" von "Blood On The Tracks" (1975), und die Titelzeile des Refrains schreien alle beglückt mit.
Was auffällt: Er spielt nicht mehr Gitarre, wohl wegen einer Arthrose im Handgelenk, wie man hört. Gelegentlich setzt er sich ans Piano, aber zumeist steht er hinter einer Phalanx von drei altmodischen Mikrofonen, die der Bühne etwas von einem Aufnahmestudio der 50er Jahre gibt. Wenn Dylan nicht singt, tritt er drei Schritte zurück, manchmal tanzt er sogar, beinahe jedenfalls, das sieht so aus: den linken Zeigefinger und Daumen legt er an die Jackentasche, dann schaut er nach unten und tappt im Kreis, als suche er einen Glückspenny.
Dylan macht mitten im Set eine 20-minütige Pause, und da merkt man schon, wie glücklich die Zuhörer sind, von denen viele einige Jahrzehnte mit diesem Künstler verbracht haben. Vor der Zugabe gibt es denn auch Jubelstürme; die Menschen stehen auf und nehmen eine Jazz-Version von "Blowin' In The Wind" entgegen, die mit dem Original nur mehr den Text gemein hat. Das letzte Lied ist "Love Sick", ein dorniger Blues-Rocker, für den Dylan den Schafspelz wieder abwirft.
Als die Musik aus ist, bleibt er auf der Bühne stehen. Einen Moment nur, ein paar Sekunden, in denen er die Begeisterung spürt, Zuneigung trinkt und Liebe tankt. Dann ist er fort, das Licht geht an. Es erleuchtet eine Gemeinschaft, die etwas Großes erlebt hat.