Wut, Trauer, Mahnung Zehn große Anti-Kriegs-Lieder

Der russische Angriff auf die Ukraine schockiert Menschen weltweit. Trost suchen kann man in der Musik. Zehn berührende Songs von Marlene Dietrich über Bob Dylan und John Lennon bis zu Tocotronic.

 Friedensbotschaft von John Lennons Witwe Yoko Ono in London.

Friedensbotschaft von John Lennons Witwe Yoko Ono in London.

Foto: dpa/James Manning

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine wühlt weltweit die Menschen auf. Man kann Trost suchen bei Liedern, die den Krieg thematisieren, beklagen, anprangern. Eine Liste mit besonders eindringlichen Songs der vergangenen 60 Jahre.

„Sag mir, wo die Blumen sind“ von Marlene Dietrich (1962): Im Original heißt das Lied „Where Have All The Flowers Gone“, geschrieben hat es 1955 der US-amerikanische Songwriter Pete Seeger. Von Max Colpet ins Deutsche übersetzt, wird der Folksong in der Version der Dietrich weltweit populär. Eindringlich nimmt der Text Bezug auf Kriegsszenarien: „Sag wo die Soldaten sind, über Gräbern weht der Wind“ – und kommt zu der melancholischen Einsicht, dass Krieg immer ein Rätsel bleibt: „Wann wird man je verstehen? Wann wird man je verstehen?“ In der Version der vor den Nazis geflohenen deutschen Sängerin schwingen diese Zeilen besonders intensiv nach.

„Masters Of War“ von Bob Dylan (1963): Eine Playlist mit Anti-Kriegs-Liedern ohne die Galionsfigur der US-Bürgerrechtsbewegung wäre unvollständig. Dabei ragt dieser Song über Kriegsgewinnler heraus. „Ihr sollt wissen, dass ich durch eure Masken schaue“, ruft der Folkpoet mit schnarrender Stimme zu monotoner Akustikgitarre den Männern im Hintergrund zu und nennt ihre tödlichen Produkte: Gewehre, Kanonen, Flugzeuge, Bomben. Diese Leute sollen sich nicht hinter Mauern und Schreibtischen verstecken können, verlangt Dylan. Im etwa zeitgleich erschienenen „Blowin‘ In The Wind“ wird er noch deutlicher, fordert ein Verbot von Waffen: „Yes, and how many times must the cannonballs fly, before they‘re forever banned?“

„War“ von The Temptations (1969): Das Motown-Label ist in den 1960er Jahren eher für Liebeslieder bekannt, umso mehr schlagen diese wütenden Textzeilen einer berühmten Vokalgruppe mitten im Vietnamkrieg ein: „War, what is it good for“ – dass Krieg zu nichts taugt, rufen die Soul-Sänger gerade auch ihren schwarzen Fans zu, die zu Tausenden für die amerikanische Flagge sterben. Das von Norman Whitfield und Barrett Strong geschriebene, oft gecoverte – etwa von Bruce Springsteen – Lied wird zum Anti-Kriegs-Statement der US-Gegenkultur und zu einem der populärsten Protestsongs überhaupt.

„Imagine“ von John Lennon & The Plastic Ono Band (1971): Vor mehr als 50 Jahren, der Vietnamkrieg ist noch im vollen Gange, veröffentlicht der Ex-Beatle mit „Imagine“ die Friedens-Hymne schlechthin. Lennon besingt seinen Traum von einer besseren Welt, ohne Nationalismus, Religionen, privaten Besitz. Er wünscht sich, dass alle Menschen in Harmonie leben. „Imagine there‘s no countries, it isn‘t hard to do, nothing to kill or die for“ – es sind solche Textzeilen, die bei nationalistisch begründeten Kriegen wie jetzt in der Ukraine sofort in den Sinn kommen. „Imagine“ und auch Lennons anderes, weniger traurig klingendes Friedenslied „Give Peace A Chance“ (1969) sind heute so relevant wie damals.

„Sunday Bloody Sunday“ von U2 (1983): Mit diesem Lied beginnt die Karriere von Bono und seiner irischen Band als Predigertruppe der Rockmusik. Das Lied ist inspiriert von einem Bürgerkriegs-Ereignis aus dem Jahr 1972, als Mitglieder der britischen Armee das Feuer auf Protestierende in der nordirischen Stadt Derry eröffnen, rund ein Dutzend Menschen sterben.„Mütter, Kinder, Brüder, Schwestern, dahingerafft“, klagt der Sänger zu kernigen Rock-Riffs. Und immer wieder fragt Bono: „How long, how long must we sing this song? How long? How long?“ Bis heute hat das den Frieden nicht nur in Nordirland herbeisehnende Lied einen festen Platz in den Konzerten von U2.

„The Sound of Crying“ von Prefab Sprout (1992): Einer der weniger bekannten Anti-Kriegs-Popsongs – aber einer der besten. Songwriter Paddy McAloon und seiner britischen Softrock-Band gelingt es, zu einer wunderschönen Melodie eindrückliche Bilder für Kriegswahnsinn zu finden, aktuell trieben gerade die Irak-Konflikte viele Menschen um. Warum lässt Gott das zu, so lautet McAloon zufolge die Frage hinter seinen Textzeilen. Eine neue, bessere Welt war Anfang der 90er Jahre versprochen worden, und dann so etwas. Der Refrain ist genial: „Once more the sound of crying, is number one across the earth“ – das Weinen der Kriegsopfer ist Nummer eins der Hitparaden in aller Welt.

„Peacekeeper“ von Fleetwood Mac (2003): Den erfolgreichsten Song des 2003 erschienenen Albums „Say You Will“ der britisch-amerikanischen Band schreibt Lindsey Buckingham. Der Gitarrist und Sänger stellt sich gegen die US-amerikanische Propaganda rund um den Irak-Krieg und fordert konsequente Bemühungen für Weltfrieden. Zu dem für Fleetwood Mac so typischen, ultraharmonischen Westcoast-Rock-Sound hört man düstere Zeilen: „Every one will suffer the fire we‘ve made, they all explode just the same“ (Jeder wird das Feuer erleiden, das wir entfacht haben, alle explodieren gleichermaßen).

„Where Is The Love“ von Black Eyed Peas (2003): Der Song der Hip-Hopper um Sängerin Fergie setzt ein Zeichen gegen Polizeigewalt und Rassismus, kann aber auch als Friedenshymne gegen den 2003 begonnenen Irak-Krieg verstanden werden. 2016 legt die Band das leider zeitlose Stück zusammen mit vielen Stars angesichts von Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA, Terroranschlägen in Europa und der Flüchtlingskrise neu auf. „Wir haben „Where Is The love?“ dieses Jahr neu aufgenommen, als wir von den Medien regelrecht bombardiert wurden, von Berichten über das Böse in der Welt, über den Konflikt in Syrien, den Terrorangriff von Paris, die Bomben in Brüssel, die Gewalt in der Türkei oder die Schüsse von Orlando“, sagte der Frontmann.

„Hero Of War“ von Rise Against (2008): Ein Lied zu überwiegend akustischer Gitarre über einen jungen Mann, der für die Armee angeworben wird. Ihm wird versprochen, er könne die Welt sehen – er müsse dafür nur eine Waffe tragen. Zu Beginn gefällt ihm der Gedanke, in den Krieg zu ziehen und dort ein Held zu werden. Er genießt die Einsätze, wird mit der Zeit immer abgestumpfter, bis er und seine Kameraden Gewalt gegen Kriegsgefangene verüben. Als der Protagonist eine Frau erschießt und zu spät sieht, dass sie eine weiße Fahne in der Hand hielt, erkennt er die Schattenseiten, er kann sich selbst, obwohl andere es immer noch tun, nicht mehr als Kriegshelden sehen. Eine hochemotionale Hymne gegen den Flaggen-Irrsinn.

„Nie wieder Krieg“ von Tocotronic (2022): Plakativer geht es kaum. Sänger Dirk von Lowtzow raunt die ikonische Zeile vom berühmten Käthe-Kollwitz-Druck (1924) mit seinem unnachahmlichen Bariton, und einzelne Textpassagen lassen sich tatsächlich als pazifistische Aussagen deuten, etwa wenn es um zynische Gebete oder verirrte Feuerwerke geht. „Nie wieder Krieg, keine Verletzung mehr (...) Nie wieder Krieg, das ist doch nicht so schwer“, so die Kernaussage. Aber wie so oft bei Tocotronic hat das Lied eine zweite Ebene, es geht wohl auch um persönlichere Konfliktbewältigungsstrategien. Im Jahr des russischen Feldzugs gegen die Ukraine ist den Oberlehrern der „Hamburger Schule“ damit der jüngste Anti-Kriegs-Hit geglückt.

(dpa)
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