Dylan in Düsseldorf Bob, der Baumeister

Düsseldorf · Bob Dylan hat in Düsseldorf seine großen Songs neu zusammengesetzt. „Like A Rolling Stone“ gab es in einer fabelhaften Version. Und: So gut klang Dylans Stimme schon lange nicht mehr.

 Bob Dylan auf einem Archivbild.

Bob Dylan auf einem Archivbild.

Foto: dpa

Das letzte Drittel dieses Konzertabends hat begonnen, da meint man sie zu spüren: die Erleuchtung. Bob Dylan spielt „Don’t Think Twice, It’s Alright“, aber das Stück hat mit der Originalversion aus dem Jahr 1963 nur noch den Text gemein. Dylan begleitet sich selbst am Piano, dazu gibt es gestrichenen Kontrabass, sonst nichts. Man hört zu und registriert erst allmählich, welcher Song das ist, und man freut sich über ihn; es ist eine schöne und verblüffende Wiederbegegnung: Mensch, Du hast dich aber verändert! Und vielleicht ist genau das das Prinzip Dylan, denkt man: Er führt die Lieder nicht einfach auf, sondern erzählt davon, wie sie geklungen haben. Und er schafft dabei etwas Neues. Der Nobelpreisträger ist ein Sänger auch im antiken Sinn, ein mündlich Vortragender also, der seine Texte immer anders in den Wind schreibt.

Der 77 Jahre alte Bob Dylan tritt in der ausverkauften Mitsubishi-Electric-Halle in Düsseldorf auf, und was man erlebt, ist ein großes Konzert. Ein wenig mag das auch daran liegen, dass kurz zuvor die Nachricht zu lesen war, die Stones müssten ihre Tour verschieben, weil es Mick Jagger nicht so gut geht. Wie lange wird man die alten Helden noch erleben dürfen? Wie lange wird diese so ungemein wichtige Generation des Rock noch da sein? Und so hört man womöglich noch hingerissener zu, noch zugeneigter hin.

Dylan-Konzerte sind ja so etwas wie ein Hochsicherheitstrakt. Bevor der Meister und seine vier Musiker auf die Bühne kommen, gibt es mehrere Durchsagen, dass auf gar keinen Fall gefilmt und fotografiert werden dürfe. Während des Konzertes achten Wachleute darauf, dass das Verbot eingehalten wird. Und man kann das verstehen, denn Dylans Kunst ist das Flüssige, das Vergängliche, der Augenblick. Er legt sich nicht fest, sondern schreibt fort, er tradiert, und der nach „Don’t Think Twice“ am heftigsten bejubelte Song zeigt eindrucksvoll, wie das funktioniert: „Like A Rolling Stone“ gibt Dylan in einer fabelhaften minimalistischen Version. Es hört sich zwischendurch an, als wollte er das Stück unterbrechen, aber Dylan lässt es bloß mehrfach fallen und fängt es nach ein paar Sekunden wieder auf, und der Effekt ist großartig. Das Lied mäandert, bleibt im Fluss, und die Strophen kurz vor Schluss rappt Dylan geradezu: „But you'd better take your diamond ring“.

Jedenfalls: So gut klang Dylan lange nicht, und so abwechslungsreich war sein Set schon seit Jahren nicht mehr. „When I Paint My Masterpiece“, „Love Sick“, „Highway 61“, „Pay In Blood“, „Early Roman Kings“ und – dräuend, atmosphärisch und unheimlich wie ein Stück Southern Gothic – „Scarlet Town“.

Wolfgang Niedecken sitzt auch im Saal. Und Szenenapplaus des schließlich vor seinen Stühlen stehenden Publikums gibt es für Dylans Mundharmonika-Soli sowie immer dann, wenn die Leute ein Lied erkennen. Überhaupt ist das ja eine eigene, verborgene Kunst Dylans: das Stimmen der Instrumente zwischen einem beendeten und dem nächsten Song. Er organisiert das Durcheinander der Töne, das Klang-Chaos. Es wirkt in diesen Momenten, als liege der Inhalt einer Kiste mit Legosteinen vor ihm, und dann setzt er sie zusammen, und allmählich entsteht ein Lied, und wenn er es endlich in den Raum stellt, ist man ganz glücklich. Bob, der Baumeister.

Dylan ist das Gegenteil von Paul McCartney, dem anderen großen, noch lebenden Songwriter. Der führt den Beatles-Kanon werkgetreu auf, Dylan setzt seinen Katalog stets neu zusammen. Das Lied „My Back Pages“ spielt er an diesem Abend zwar nicht, aber es gibt dem Auftritt das Motto: „Ah, but I was so much older then, I'm younger than that now“.

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