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Bob Dylan Wer kennt diesen Mann?

Düsseldorf · Bob Dylan feiert am Dienstag seinen 75. Geburtstag. Und noch immer ist er nirgendwo angekommen, man kann ihn einfach nicht fassen. Sein neue und umstrittene Frank-Sinatra-Hommage "Fallen Angels" ist der Beweis. Eine Würdigung.

 Der große Bob Dylan in Aktion.

Der große Bob Dylan in Aktion.

Foto: dpa, rh wok sab

Jetzt regen sich wieder viele Menschen über Bob Dylan auf, sie mögen die neue Platte nicht, die wirklich ziemlich fürchterlich ist, aber genau dafür muss man ihn schon wieder lieben, denn heute ist sein 75. Geburtstag, und die meisten Jubilare werden in diesem Alter mit Zuneigung erstickt, sie ersaufen in Gunstbezeugungen und Liebesbekundungen. Dieser Künstler will das aber gar nicht, Einmütigkeit würde ihn umbringen: Dylan bleibt unabhängig und frei, er legt sich immer noch nicht fest, man kann ihn auch jetzt nicht fassen, und dazu darf man ihn an seinem Ehrentag herzlich beglückwünschen.

"Fallen Angels" heißt also das neue Album von "His Bobness", und wie auf dem Vorgänger "Shadows In The Night" singt er Songs nach, die von Frank Sinatra berühmt gemacht wurden, dem Helden seiner Jugend. Was beim ersten Mal charmant war, weil er die Lieder mit viel Engagement vorgetragen hat, wirkt nun fad und platt, zudem muten die Arrangements an, als habe da jemand die Cowboystiefel aus- und die Pantoffeln angezogen, ein Karaokefestival der Wehmut: "Please don't bring your lips so close to my cheek." Es ist alles ein bisschen klebrig, es mag einfach nicht Frühling werden auf dieser Platte.

Aber Dylan kennt den Widerspruch, er braucht ihn, und vielleicht sitzt er heute daheim und lächelt, weil er es erneut schafft, dass sich Menschen an ihm reiben und sich aufregen. Dylan irritiert. So war das auch am 25. Juli 1965, als er beim Newport Folk Festival die akustische Gitarre weglegte, die elektrische nahm, den Folk unter Strom setzte und in 1000 Teile zerschlug. Da stand also die New Yorker Ikone des Dagegen, der Kerl, der "Blowin' In The Wind" gesungen hatte, und er stieß seine Anhänger vor den Kopf, weil er wie ein Vertreter des Establishments auftrat. Die folgende Tournee dürfte eine der härtesten Erfahrungen für einen Künstler in der Geschichte des Rock gewesen sein, legendär ist der Auftritt in Manchester, als ihn jemand als "Judas" beschimpfte.

Er verschwand dann bald aufs Land, er entschleunigte, indem er ursprüngliche Lieder aufnahm, aber bald ging es wieder los mit dem Zorn der Leute. Plötzlich sang Dylan nämlich Gospel, über drei Alben hinweg; er bezeichnete sich als wiedergeborenen Christen, er wollte taufen, und die Musik war sein Weihwasser. Das gefiel nicht jedem, diese Alben, vor allem "Saved" aus dem Jahr 1980, wirkten auf manche wie aus Kreuzen gebogene Fragezeichen, die man in Plattenhüllen gesteckt hatte: Irre, der Dylan, den versteht man ja gar nicht.

Aber so ist er, er lässt sich nicht vereinnahmen, und wenn ihm einer zu nahe kommt, er in einem Milieu aufzugehen droht, entfernt er sich. 1970 brachte er "Self Portrait" heraus, eine Doppel-LP, die zum Großteil aus Coverversionen bestand, er hatte sie mit Streichern und Bläsern angedickt, was verblüffend war, weil das bewusst schlicht eingerichtete "Nashville Skyline" 1969 noch lieblich und rein geklungen hatte. Weltberühmt wurde die fiese Besprechung durch Greil Marcus, der seinen Text im "Rolling Stone" so beginnen ließ: "What is this shit?" Das Schöne daran ist, dass "Self Portrait" vor drei Jahren wiederveröffentlicht und duchweg gefeiert wurde: Irre, der Dylan, den versteht man ja jetzt erst.

Dylan ist der Maskenmann der Musikgeschichte, mit fast jeder Platte lernt man eine neue Inkarnation des als Robert Allen Zimmerman in Duluth im Norden der USA geborenen Barden kennen. Er trat in dem Western "Pat Garrett & Billy The Kid" (1973) auf, und seine Figur hieß vielsagend Alias, als Produzent seiner Platten nennt er sich Jack Frost, und der Hollywood-Film über ihn trägt den Titel "I'm Not There" - darin teilen sich sechs Schauspieler den Job, Dylan darzustellen.

Dylan ist ein Phantom, und die Verdienste dieses Drifters, der sich beim Komponieren an den verborgensten Schätzen der amerikanischen Tradition und beim Texten bei Ovid, Petrarca und Homer bedient, sind kaum zu überblicken. Er machte den Pop erwachsen, er brachte Verstand und Intellektualität in den Pop, er erneuerte dessen Bildsprache. Und er hat den Pop, der wie keine andere Kunstform an den Tag gebunden war, der Zeit enthoben und in die Ewigkeit überführt. 1997 begann mit dem fabelhaften Album "Time Out Of Mind" sein Spätwerk, und wenn man heute "Fallen Angels" auflegt, sein 37. Studioalbum, kann man es nicht fassen: Seine Stimme wirkt verjüngt, er hat offenbar Kreide gegessen und Rosenöl getrunken, und man muss an Benjamin Button denken, jene Figur von F. Scott Fitzgerald, die nicht älter wird, sondern jünger.

Was hat er sich dabei gedacht? Was denkt er sonst so? Denkt er überhaupt noch? Und wer ist er eigentlich? Man wird nicht schlau aus Dylan, man kann sich keinen Reim machen, das ist toll, großartig, und genauso soll es bleiben, denn er bringt einen zum Grübeln, er hält seine Zuhörer in Bewegung, er macht es ihnen nie leicht. Wie singt er auf der neuen Platte: "Maybe I'm right and maybe I'm wrong / But nevertheless I'm in love with you".

(hols)
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