Abschiedstour nach 17 Jahren Blumfeld - zum letzten Mal

Düsseldorf (RP). Die Gruppe Blumfeld um Texter und Sänger Jochen Distelmeyer erneuerte die deutschsprachige Popmusik. Sie regte auf und provozierte mit akademischen Texten. Nach 17 Jahren begibt sich die ehemals beste deutsche Band nun auf Abschieds-Tournee.

 Nach 16 Jahren löst sich die Band um Jochen Distelmeyer (zweiter von rechts) auf.

Nach 16 Jahren löst sich die Band um Jochen Distelmeyer (zweiter von rechts) auf.

Foto: Blumfeld, Martin Eberle

Vielleicht kann die Bedeutung der Band Blumfeld, die nun ihre letzte Tournee beginnt, überhaupt nur erfassen, wer bei ihrem In-Erscheinung-Treten 1992 um die 20 war. 1992 war eine komische Zeit, Deutschland war gewachsen, vor der Haustür war Krieg im Irak, die Zeit des Behütetseins ging zu Ende. Und 18, 19, 20 sein, das ist ohnehin schwierig: Man weiß nicht so recht wohin, man ist jung, ohne jugendlich zu sein, man bricht auf voller Heimweh, man strebt und ist doch nicht strebsam, man ist sehnsüchtig und allgemein ein bisschen dagegen, man will denken und manchmal auch handeln, man möchte sich gerne jemandem zuneigen - man will sein und muss doch erst werden.

In diese Stimmung also schickte Blumfeld auf messerscharfen Gitarren die ersten Zeilen des Albums "Ich-Maschine": "Ein Lied mehr, das Dich festhält / und nicht dahin lässt, / wo Du hinwillst / weg von hier / ein Lied mehr ist eine Tür / ich frag mich bloß, wofür / denn das, was dahinter liegt, / scheint keinen Deut besser als das hier." Das hörte man, man verstand es nicht und fühlte es doch, das war aufregend, provozierend, das war der Regen und man selbst der Schwamm.

Ein Mann mit maliziösem Grinsen textete diese Zeilen, die man nicht hörte, sondern trank. Jochen Distelmeyer heißt er, ein Seitenscheitel der allerbesserwisserischsten und anmaßendsten Sorte; ein protestantischer Provinzler; ein Oberschüler aus Bielefeld; einer, der auszog nach Hamburg; einer, der seine Band angestrengt mehrdeutig nach der Erzählung "Blumfeld, ein älterer Junggeselle" von Kafka benannte; ein Ekelpaket; ein Wortschocker; ein Sprechsinger; ein prätentiöser Selbstbemitleider; eine Nervensäge; ein renitenter Politisierer; ein Beneidenswerter; ein kleiner Prinz; ein deutscher Dichter. "Flamme bin ich, sicherlich", sang er; über dem Regenbogen waren ihm alle Sterne schnuppe.

Distelmeyer hatte so viel gelesen, dass er kaum geradeaus laufen konnte. Seit die Neue Deutsche Welle verebbt war, war kein Musiker mehr derart wirkungsvoll und pointiert mit der deutschen Sprache umgegangen. Distelmeyer zitierte Rainald Goetz und Matthias Reim, Rolf Dieter Brinkmann und die Smiths, Dylan und Adorno, Werbeslogans und den Poststrukturalismus: "Ich hab keine Knochen mehr, dafür Tinte für 20 Bücher im Bauch." Deutscher Kopf, britische Haltung, Schwermut und Lässigkeit. Hamburger Schule nennt man das, weil aus Hamburg auch Tocotronic kommen und Die Sterne. Diese Bands variieren den Blumfeld-Ansatz - elektrische Gitarre aus USA/GB, intellektuelle Texte aus D -, aber nie so edel, so konsequent: Mancher Blumfeld-Song ist eher Gedicht, kommt ganz ohne Musik aus.

Blumfelds Platten kommentierten die Welt so maßgeblich, wie das nur Harald Schmidt in seinen besten Tagen gelang. Sie veränderten die Welt, sie möblierten sie für die Beck's-Bier-Bohème in den Städten, und sie waren dafür verantwortlich, dass Popkultur ernst genommen wurde. Fortan wurden Blumfeld-Platten rezensiert wie Botho-Strauß-Dramen. Zeilen wie "Lügt denn die Welt und wenn nicht / ist sie am Ende im Rückstand / gegenüber der Moral der Geschichte" ließ man Professoren in den Feuilletons deuten. Die Akademie tanzte, Blumfeld war reine Gegenwart.

Den Höhepunkt erreichte Blumfeld 1999 mit dem unwiderstehlichen Album "Old Nobody". Blumfeld bot Schlager, bezog sich auf die Band Münchner Freiheit, auf fürchterlichen 80er-Jahre-Kitsch also, aber in cool. Das war frech, das verwirrte. Ironie? Man rätselte noch, während die Band mit dem Song "Tausend Tränen tief" die Top 10 der Charts erreichte. Blumfelds Titel waren nun geflügelte Worte: "Von der Unmöglichkeit, nein zu sagen, ohne sich umzubringen", "Jenseits von Jedem", "L'Etat et moi", "Viel zu früh und immer wieder: Liebeslieder".

Aber die Zeit wurde eine andere. Die 20-Jährigen wurden älter. Jochen Distelmeyer wurde Vater. Und Älterwerden und Vaterschaft sind die großen Feinde der Popmusik, da sollte mal einer eine Doktorarbeit drüber schreiben. Blumfeld trat in wechselnden Besetzungen auf, nur Distelmeyer blieb. Seine Platten wurden mühsam, doch das Schlimmste: Sie brachten keine Erkenntnise mehr. Das lag vielleicht an einem selber, aber ganz sicher an der Rückzugsbewegung der Texte.

Das letzte Album "Verbotene Früchte" ziert ein Maria-Sybille-Merian-Bild und beschwört die Idylle - 18. Jahrhundert! 20-Jährige finden keinen Sinn darin, keine Relevanz, die mitgealterten 37-Jährigen suchen ebenfalls vergebens nach Wegweisung fürs Gegenwärtige. Distelmeyer singt den Sohn in den Schlaf und zählt alte Apfelsorten auf: "Elstar, Ontario, Winterprinz, Geheimrat von Oldenburg". Das ist wunderschön. Und stinklangweilig. Rückzug ist okay. Aber langweilig ist ein Skandal. Kurz nach Erscheinen der Platte gab Distelmeyer die Trennung der vormals besten deutschen Band bekannt.

Schade, dass das alles nun zum Glück vorbei ist.

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