Neues Album „Fossora“ Björk geht in die Pilze

Eher Oper als Popmusik: Die 56-Jährige greift auf ihrem neuen Werk weit über die Grenzen des Albumformats hinaus. Unter den 13 Stücken findet sich ein kleines Meisterwerk.

 Die isländische Künstlerin Björk.

Die isländische Künstlerin Björk.

Foto: dpa/label

Es gibt nicht so viele Künstlerinnen und Künstler, von denen man bei jeder Platte hofft, sie könnten das Neue in die Welt bringen. Die 56 Jahre alte Björk aus Island gehört indes dazu, ihr unbeirrtes Werk hat in den vergangenen 30 Jahren so radikale Wendungen genommen und so viel gewagt, dass darin oft genug ein ungehörter und unerhörter Klang zu vernehmen war. Nun erscheint „Fossora“, das zehnte Soloalbum der früheren Sugarcubes-Sängerin. Und das klingt vielleicht nicht wirklich neu, jedenfalls nicht neu in einem umstürzlerischen Sinn. Aber doch radikal anders.

„Fossora“ macht deutlich, dass die Fixierung vieler Musikfans auf das Albumformat unzeitgemäß und in diesem Fall sogar unangemessen ist. Man erfasst den Kosmos dieser Künstlerin nicht, wenn man ihr bloß zuhört. Dieses Album eignet sich ohnehin nicht zum Nebenbei-Weghören beim Bügeln, man muss es sehen und gleichsam mit-denken. Björk ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem die Visualisierung und das thematische Referenzsystem ebenso wichtig sind wie der Sound. „Fossora“ bezeichnet dabei ein weibliches Wesen, das gräbt, das im Mutterboden die Wurzeln des Matriarchats erkundet.

Um Pilze geht es denn auch tatsächlich auf diesem Album, um den Pilz als Sinnbild. Björk knüpft feine Nervenbahnen zwischen Menschen und Natur, zwischen Diesseits und Anderswo, zwischen Themen wie Tod und Hoffnung. Alles ist rhizomartig miteinander verbunden. In zwei Liedern gedenkt sie ihrer 2018 verstorbenen Mutter, der Umwelt-Aktivistin Hildur Rúna Hauksdóttir. Sie lässt ihre Kinder Sindri und Isadora im Background singen, und je tiefer sie vordringt in die Tiefe alles Zugrundeliegenden, desto optimistischer und trostreicher mutet diese Musik an. Für die zugehörigen Video-Clips inszeniert sie sich als Mischwesen aus einer Art für die Walpurgisnacht aufgedonnerter Mutter Gaia und von Gras überwucherter Feen-Schwester von Nina Hagen.

Das Album enthält ein Meisterwerk, einen der besten Songs, den Björk je veröffentlicht hat. Er heißt „Victimhood“, beginnt mit Mikrobeats und Streichern und steigert sich zu einem in sich variablen, Irrgarten-artigen Klanggebilde aus Klarinetten und schlurfenden Beats, die das Zeug haben, das Herz aus dem Takt zu bringen. Die über einem dramatischen Dräuen erklingende Stimme von Björk zieht Schlieren wie in einer Flüssigkeit. Das Lied nimmt das Publikum buchstäblich in seine Obhut, man versinkt darin, es ist das Einfallstor in diese düster schillernde Kunstwelt.

Björk hat ein Bassklarinetten-Sextett engagiert, und sie wies es an, so zu spielen, als habe man anderthalb Gläser Rotwein intus. Bisschen beschwingter also, aber nicht besoffen. Sie hat Gabber entdeckt, eine beschleunigte Variante des Hardcore-Techno mit prasselnden Beats. Dazu tickt eine Uhr, und manchmal meint man, eine Kirchenorgel zu hören, die das spirituelle Moment dieser Produktion ins Sakrale steigert.

Popmusik ist das nicht mehr. Eher noch Oper. Aber im Grunde gibt es das Genre noch gar nicht, das Björk hier bedient. Insofern ist „Fossora“ dann vielleicht doch etwas völlig Neues.

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