"Lemonade" Beyoncés neuester Marketing-Coup

Düsseldorf · Die amerikanische Sängerin überrascht die Welt mit einem neuen Album. Es wurde direkt im Anschluss an die Ausstrahlung eines TV-Porträts über die 34-Jährige im Internet veröffentlicht. Und es klingt großartig.

 Beyoncé: Kluge Geschäftsfrau, große Sängerin.

Beyoncé: Kluge Geschäftsfrau, große Sängerin.

Foto: dpa

Könnte gut sein, dass die Veröffentlichung dieses Albums künftig in Marketingseminaren als besonders gelungenes Beispiel für eine Markteinführung beschrieben wird. Die amerikanische Sängerin Beyoncé hat in der Nacht zu Sonntag überraschend ihre neue Platte "Lemonade" veröffentlicht - normalerweise werden solche Termine monatelang im Voraus angekündigt.

Exklusiv bei Tidal

Zuvor war auf dem amerikanischen Bezahlsender HBO ein Film über die 34-Jährige ausgestrahlt worden. Man hatte ihn als Dokumentation beworben, es waren dann im Grunde aber die Video-Clips zu den zwölf Songs des Albums, mit Kommentaren aus dem Off versehen und zusammengeschnitten zu einem Konzept-Film. Direkt nach der Sendung gab Beyoncé via Twitter bekannt, dass die Stücke ab sofort im Internet zu streamen seien, und zwar exklusiv bei Tidal, der Musikplattform, an der sie selbst und vor allem ihr Ehemann, der HipHopper Jay-Z, beteiligt sind.

Beyoncé gehört mit Taylor Swift, Katy Perry und Rihanna zu den populärsten weiblichen Popstars dieser Tage. Sie hat rund 65 Millionen Follower bei Facebook, 70 Millionen bei Instagram, und sie hat die Macht, die Regeln des Musikgeschäfts zu verändern. Im Dezember 2013 stellte sie ebenfalls ohne Vorankündigung ihr Album "Beyoncé" in den Internet-Plattenladen iTunes. Das Album wurde binnen weniger Stunden 365.000 Mal gekauft und millionenfach gestreamt. Twitter und Co. waren voll von Kommentaren zu diesem Coup, der in Eigenregie und außerhalb der üblichen Vertriebswege stattfand.

Schon Coldplay stahl sie die Show

Viele Künstler handeln seither ähnlich, sie nutzen den Überraschungseffekt, generieren weltweite Aufmerksamkeit: der Rapper Drake gehört dazu, R'n'B-Star D'Angelo und Rihanna. Zuletzt lud Kanye West zu einer Präsentation in den Madison Square Garden, und obwohl niemand so recht wusste, was ihn erwartet, wurde das Ereignis zeitgleich in Kinos in aller Welt übertragen. West spielte einem staunenden und irritierten Publikum seine neuen Stücke vom Computer vor und ließ dazu Models Kleidung tragen, die er designt hatte. Das Album kam dann erst viel später zum Anhören auf die Plattform Tidal, an der auch Kanye West Anteile hält. Inzwischen kann man es zwar auch bei iTunes und Spotify hören, aber nicht herunterladen. Es ist verrückt: Die neuen Lieder eines der wichtigsten Popstars der Gegenwart sind nicht zu kaufen, man kann sie nicht besitzen. West aktualisiert die Stücke zudem im Zwei-Wochen-Rhythmus, das Album ist also work in progress, es kommt nicht zum Abschluss.

Man darf mit Recht behaupten, Beyoncé habe diesen Teil der Popwelt maßgeblich verändert, und ganz unbescheiden sang sie jüngst bei einem Gastauftritt in einem Song der Kollegen Nicki Minaj: "Changed the game with that digital drop / Know where you was when that digital popped / I stopped the world." In den USA hat die neue Veröffentlichung so viel Aufmerksamkeit erregt, dass kaum noch jemand über die neue Staffel von "Game Of Thrones" sprach, die am Wochenende gestartet ist und vom Sender HBO als Großereignis promotet wurde. Bereits im Februar stahl Beyoncé Coldplay in der Halbzeitpause des Super Bowl die Show: Die britische Band sollte der Höhepunkt sein, Beyoncé war nur Gast. Doch tags zuvor stellte sie das Video zur großartigen und hochpolitischen neuen Single "Formation" ins Internet. So sprach man denn nur noch über sie, Coldplay war nur Beiwerk.

Allerdings gab es auch Kritik: Dass Beyoncé das neue Werk "Lemonade" nur bei Tidal streamen lässt, schließt viele Fans aus. Die Plattform hat relativ wenige Kunden, der Monatsbeitrag kostet 9,99 Euro. Damit wird erneut deutlich gemacht, dass es bei Stars in der Champions League des Pop schon lange nicht mehr in erster Linie um die Musik geht. Nicht mit Albumverkäufen verdienen sie ihr Geld, sondern mit Aufmerksamkeit, die wiederum die einträglichen Konzerte füllt und Nebenprojekte bewirbt. Bei Beyoncé bedeutet das: Der Coup weist automatisch auf die am Mittwoch im Miami startende Welttournee hin, die sie im Juli auch nach Düsseldorf führen wird. Außerdem hat Beyoncé soeben die Modelinie "Ivy Park" beim Anbieter Topshop lanciert, und sicher wird auch Tidal einige neue Abonnenten gewinnen.

"You ain't married to no average bitch, boy"

Es bleibt die Frage: Wie klingt die neue Platte eigentlich? Antwort: Ziemlich toll, stellenweise sogar triumphal. Es ist ein düsteres Werk, sehr persönlich, sehr dicht; definitiv die beste Beyoncé-Platte. Sie arbeitet mit den Soundtüftlern Diplo und James Blake zusammen, es gibt einen Auftritt des Rappers Kendrick Lamar, und mit Jack White von den White Stripes hat sie einen Song geschrieben, der aus Samples von Led Zeppelins "When The Levee Breaks" arrangiert wurde. Vielen Stücken dienen offensichtlich als Showcase für die sängerischen Fähigkeiten der Amerikanerin, die einst mit der Band Destiny's Child berühmt wurde: "Hold Up" hat das Zeug zum Sommerhit, bei "Sandcastles" singt sie zur Pianobegleitung, bei "Daddy Lesons" zur akustischen Gitarre, und "Freedom" ist derart starker Song, dass sie dafür von Aretha Franklin umarmt werden wird.

Textlich geht es um die Selbstermächtigung einer betrogenen schwarzen Frau, und tatsächlich munkelt man ja schon lange über den Zustand der Ehe mit Jay-Z. "You ain't married to no average bitch, boy", heißt es da, und, einen Kosenamen für den Rapper zitierend: "Big Homie better grow up".

Pech in der Liebe, Glück im Spiel: Wie auch immer es im Privaten aussieht, die Geschäftsbeziehung der beiden war jedenfalls nie intakter.

(hol)
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