Furiose Pianistin Beatrice Rana ist Italiens hellster Stern am Klavierhimmel

Rom · Die Pianistin Beatrice Rana macht eine furiose Karriere. Mit ihrer neuen CD spielt sie berühmteste Kollegen an die Wand. Und ihre Einspielung der „Goldberg-Variationen“ kann sogar mit der von Glenn Gould mithalten.

 Mit Musik von Maurice Ravel und Igor Strawinsky überwältigt Beatrice Rana auf ihrer neuen CD.

Mit Musik von Maurice Ravel und Igor Strawinsky überwältigt Beatrice Rana auf ihrer neuen CD.

Foto: Nicolas Bets

In der friedvollen Welt der Klassik scheint für Krawall kein Platz. Künstler spielen, so glaubt man, im diskreten Raum der Kunstausübung, kein Lärm dringt nach außen. Neulich jedoch gab es einen formidablen Shitstorm. Die italienische Pianistin Beatrice Rana hatte für die BBC und ihren Youtube-Kanal die scheue Aria aus Bachs „Goldberg-Variationen“ gespielt, und kaum war diese Miniatur im Netz, echauffierte sich ein User namens „Johnny Guitar“. Er kramte das Totschlagargument der Branche heraus, die Referenzaufnahme von Glenn Gould, und schwang die Keule: „Überlasst Gould das Werk! Es gibt keinen Grund, einen Klassiker zugunsten des Feminismus zu ruinieren.“ Da bekam er aber deftig etwas zu hören von der Community.

In Bachs Haus gibt es bekanntlich viele Mietwohnungen, eine hat jedenfalls Beatrice Rana bezogen und überaus stilvoll und doch raffiniert möbliert. Schon von Kindesfingern an habe sie diese Musik geliebt und immer wieder gespielt, erzählte sie einmal; Bach sei ihre Seele und ihr Kompass. Eine Puppenstube sind die „Goldberg-Variationen“ für Beatrice Rana nicht, sondern eher ein bunter Jahrmarkt. Manche Variation befragt sie wie mit der Kristallkugel und wartet andächtig auf die Antwort. Andere Passagen jazzt sie über die Klaviatur, als ob Oscar Peterson sie angespornt hätte. Das hat Kraft, steht im Saft, ädert die Linien sehr genau, spürt Bachs subtilem Witz nach und entwickelt doch den Sog der großen Form.

Beatrice Rana, 1993 in Apulien geboren, betrachtet ihre Karriere als eine Fähre durchs Leben, die immer zum Heimathafen zurückkehrt. Sie hatte exquisite Preise etwa beim Arturo-Benedetti-Michelangeli- und beim Van-Cliburn-Wettbewerb gewonnen, doch vorerst wollte sie lieber muttersprachlich geerdet in Italien bleiben. Ihre erste Plattenaufnahme mit rein italienischer Besetzung verhieß dann aber doch hohe See: Klavierkonzerte von Sergej Prokofieff (Nr. 2 in g-Moll) und Peter Tschaikowski (Nr.1 in b-Moll). Zum Glück waren es vertraute Gesichter, die mit an Bord gingen: das Orchestra dell‘Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, Italiens bestes Orchester, und am Pult Antonio Pappano, der selbst ein vorzüglicher Pianist ist. Er hatte Beatrice Rana für die Platte sogar vorgeschlagen, und die dankte es ihm mit einer Bravourleistung.

Prokofieffs Brillanz ging von Ranas Tasten weg wie geschnitten Brot, schnell und herrlich mitleidlos. Zugleich fand sie – was schwieriger ist – auch für den tastend-melancholischen Beginn des Kopfsatzes die richtige Gefühlstemperierung: mild, luftig, mit einer Wehmut, die gleichsam prophylaktisch trauert, weil noch nichts vorgefallen ist. Das alte Tschaikowski-Schlachtross hatte hingegen das Zeug zum Galopper des Jahres: ritterlich, sportlich, doch niemals schäumend. Vor allem völlig ohne Kitsch, der anderen Pianisten gern schon mal aus dem Steinway tropft.

Doch kaum hatte Beatrice Rana ans brandige Ufer übergesetzt, wollte sie zurück zu ihrem Bach, zu den „Goldberg-Variationen“ – und es spricht für ihre Schallplattenfirma Warner Classics, dass sie der jungen Künstlerin den Wunsch erfüllte. Und anders als von irgendwelchen verbohrten Youtube-Konsumenten war das Urteil der Fachwelt einhellig. Heftiger Jubel sogar von Englands Autoritätsmagazin, dem „Gramophone“. Keiner fragte noch, ob das eine weibliche Lesart sei.

Jetzt hat Beatrice Rana die französische Karte, die der Exilant Prokofieff im Jahr 1923 in seinem 2. Klavierkonzert gezogen hat, abermals als Trumpf auf den Tisch gefeuert – für ihre neue CD. Da finden wir Werke von Maurice Ravel und Igor Strawinsky, alle geschrieben im aufgekratzten und zugleich impressionistisch bewölkten Pariser Milieu des frühen 19. Jahrhunderts. Jetzt gibt es freilich weder eine hilfreiche Kavallerie des Orchesters noch die unendlich gütige Vertrautheit Bachs, nun herrschen die schiere manuelle Brillanz und der Nervenkitzel, auch auf der Hörerseite: bei Strawinsky im Höllentanz des Feuervogel und in der Karate-Bude von „Petruschka“, bei Ravel in den Meeres- und Luftspiegelungen der „Miroirs“, schließlich in der fast obszön gewienerten Morbidezza von „La Valse“.

Indes zeigt sich – schnell und laut können schließlich alle – die enorme pianistische Lernkurve, die Beatrice Rana absolviert hat, mehr noch in den langsamen Sätzen. Die „Oiseaux tristes“ spielt sie sozusagen in völlig abgedunkelter Voliere, und den multiplen Turmklängen im „Vallée des cloches“ verschafft sie eine fast unheimliche Räumlichkeit. Ravels Idee, dass die Glocken von überallher zu rufen scheinen, formt Rana zu einem Meisterstück klingender, cineastischer Poesie. Glücklich sind wir Zuhörer über den doppelten Genuss: Die Entfernung vom Ohr zum inneren Auge ist so kurz wie ein Wimpernschlag.

Ihr Debüt hatte Beatrice Rana im Alter von neun Jahren gegeben, damals spielte sie Bachs Klavierkonzert f-Moll. Dieses Werk hat sie immer wieder gern aufgeführt, es begleitet sie sozusagen durchs Leben. Kompass Bach. Dieser Tage brauchte sie diese Vertrautheit abermals, für ein ganz besonderes Debüt. Der Steinway, der auf sie wartete, stand auf dem gefährlichsten aller Podien: im großen Saal der New Yorker Carnegie Hall. Der Beifall war überwältigend. Es war derselbe Saal, in dem sich einst Glenn Gould in die pianistische Umlaufbahn katapultiert hatte – mit Bach und den „Goldberg-Variationen“.

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