Aktion sorgt für Aufsehen Warum Taylor Swift ihr altes Album „Fearless“ neu aufgenommen hat

In diesem Ausmaß ist das einzigartig: Taylor Swift hat ihr Erfolgsalbum aus dem Jahr 2008 neu aufgenommen. Fünf weitere Neuveröffentlichungen sollen folgen. Wir erklären die Hintergründe.

 Taylor Swift nach ihrem Grammy-Sieg im März.

Taylor Swift nach ihrem Grammy-Sieg im März.

Foto: AP/Jordan Strauss

Um zu erfassen, was hier gerade passiert, lohnt sich ein Blick zurück ins Jahr 1999. Damals brachte die Plattenfirma Warner das ursprünglich 1982 veröffentlichte und zum Hit gewordene Lied „1999“ von Prince abermals heraus. Der Künstler war gegen die Neuveröffentlichung. Er stand jedoch kurz vor der Trennung von seinem Label. Und die Masterbänder des Songs, also die Original-Aufnahmen, würden bei Warner bleiben, deshalb hatte Prince wenig Spielraum. So ist das in den USA: Wer die Masterbänder besitzt, bestimmt. Und verdient am meisten. In seinem Zorn nahm Prince sieben neue Versionen von „1999“ auf und veröffentlichte sie auf seinem eigenen Label unter dem Titel „The New Master“. Allerdings bekam davon kaum jemand etwas mit. Die Leute kauften und hörten fast ausschließlich das Original, das neuerlich ein Erfolg wurde.

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22 Jahre später macht der größte Popstar dieser Tage im Grunde dasselbe wie einst Prince: Taylor Swift hat soeben ihr Album „Fearless“ noch einmal aufgenommen und neu herausgebracht. Die Platte erschien im Original 2008 und verkaufte sich allein in den USA mehr als zehn Millionen Mal. Die Neuveröffentlichung ist die erste von insgesamt sechs, die in der nächsten Zeit erscheinen sollen: Es geht um Swifts frühe Alben, und auch diese Aktion ist ein Protest gegen eine Plattenfirma. Die 31-Jährige ist allerdings in einer besseren Position als Prince 1999: Sie kontrolliert nämlich eine Gefolgschaft von 150 Millionen Instagram-Followern. Deshalb beginnt sie die Reihe von Neueinspielungen auch nicht mit ihrem Debüt aus dem Jahr 2006, was logisch gewesen wäre. Sondern mit dem programmatisch betitelten Album Nummer zwei: „Fearless“.

Seit sie 14 Jahre alt ist, schreibt Taylor Swift eigene Lieder. Mit 16 unterschrieb sie einen Plattenvertrag bei Big Machine Records. Sie veröffentlichte dort sechs Alben, darunter die Welthits „Red“ und „1989“. Als sie 2018 zu Universal wechselte, musste sie ihre Masterbänder beim alten Label zurücklassen. Der neue Vertrag sicherte ihr hingegen volle künstlerische Kontrolle über alle künftigen Werke zu. Big Machine wurde ausgerechnet von Scooter Braun gekauft, einem Investor, der als Intimfeind Taylor Swifts gilt. Er ist ein Vertrauter Kanye Wests und mobbte Swift öffentlich in den sozialen Netzwerken nach der unrühmlichen Verleihung der MTV Video Awards 2009. Damals hatte Swift gerade „Fearless“ veröffentlicht und gewann unter anderem den Preis für das beste Video des Jahres. Als sie ihn entgegen nahm, stürmte Kanye West auf die Bühne und sagte, nicht sie, sondern Beyoncé habe den Preis verdient für das Video zu „Single Ladies“.

 Das Cover der Neuafnahme von „Fearless“.

Das Cover der Neuafnahme von „Fearless“.

Foto: dpa/--

Dieser Moment war eine Demütigung; Swift hat mehrfach beteuert, wie schlecht es ihr danach ging. Dass dann ausgerechnet ein Kumpel von Kanye West in den Besitz ihrer Masterbänder kam, nennt sie den „schlimmsten Alptraum“. Sie versuchte, die Originale zurückzukaufen. Scooter Braun gab sie jedoch ohne ihr Wissen für 300 Millionen Dollar an eine andere Firma ab. Als Swift das hörte, beschloss sie: Ich nehme diese Alben neu auf.

„Taylor’s Version“ heißt nun die Neuausgabe von „Fearless“ im Untertitel. Das ist ein einzigartiger Moment künstlerischer Selbstermächtigung. Swift geht es darum, die Originale, die ihr nicht gehören, wertlos zu machen. Sie zeigt, wie problematisch es ist, Künstler von ihrem Werk zu trennen. Denn die neuen Besitzer können ja etwa auch darüber mitbestimmen, für welche Werbespots oder Filme Lieder von Taylor Swift eingesetzt werden. Das neue „Fearless“ ist also auch Zeichen und Appell.

Swift wehrte sich vor einigen Jahren bereits erfolgreich gegen zu geringe Beteiligungen der Künstler an den Streamingausschüttungen bei Spotify und Apple. Sie zeigte, wie anfällig selbst große Stars für Ausbeutung bleiben. Und dass sie gerade „Fearless“ als Eröffnung ihrer Offensive wählt, lässt den Schluss zu, dass sie der breitbeinigen Männerrunde um Kanye West zeigen möchte, was Sache ist. Seit der im Sommer 2020 sein neues Album ankündigt hat, brachte Swift bereits drei Platten heraus. Seines ist bis heute nicht erschienen.

Tatsächlich hat Swift an „Fearless“ nicht viel geändert. Und dennoch hört man es ganz anders. Das Original war eine Art Konzeptalbum über das Glück und die Verzweiflung der Jugend. Als „Tagebuch eines Teenager-Mädchens“ bezeichnete Swift die Platte selbst. Die neuen Aufnahmen sind reifer produziert, sie leuchten stärker, klingen teurer. Swifts Stimme ist inzwischen weicher, wärmer, besser. Und allein das lässt zum Beispiel ein Stück wie „Fifteen“ ganz anders wirken: Die Verse „This is life before you know who you’re gonna be / At fifteen“ klingen nun wie ein Brief an mein späteres Ich. Swift berichtet nicht mehr aus dem Sturm, sondern blickt darauf zurück. Sie beglaubigt ihre Texte von damals, deren Gültigkeit, und manchmal meint man, ein bisschen Wehmut herauszuhören. „Die Aufnahmen waren emotionaler, als ich gedacht hatte“, sagte sie denn auch.

Es dürfte Swift anders ergehen als Prince. Ihre Fans werden wissen, welche Fassung sie spielen, wenn sie „Fearless“ hören möchten. Taylor Swift beweist, wozu ein Weltstar mit Hilfe der sozialen Netzwerke fähig ist, wie viel Einfluss sie hat. Sie erzählt ihre Version der Geschichte. Und die klingt gut.

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