Neues Album „30“ Adeles Kampf zurück ins Leben

Selbstreflexion ist eines der zentralen Themen der britischen Pop-Sängerin und Songwriterin. Auch in ihrem neuen Album „30“ geht es um Sucht und Sehnsucht, um Liebe und Trennung, Verletztheit und Selbstvertrauen.

 Die britische Sängerin hat unter dem Titel „30“ ihr viertes Album veröffentlicht.

Die britische Sängerin hat unter dem Titel „30“ ihr viertes Album veröffentlicht.

Foto: dpa/Columbia Records

Ihre Unperfektheit und ihre schwachen Momente sind Adele Adkins Stärke, vor allem als Songschreiberin. Meist war es Herzschmerz, der ihre besten Lieder hervorbrachte. Den Beweis dafür liefern Stücke wie „Someone like you“ oder „Hello“ – sie gelten längst als Klassiker im Adele-Universum. Bisher bestand es aus den drei Alben „19“, „21“ und „25“, nun gesellt sich das vierte Werk „30“ dazu.

Wofür die Zahlen stehen, wissen die Fans einer der weltweit erfolgreichsten Popsängerinnen des 21. Jahrhunderts – sie hat mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft sowie 15 Grammys und einen Oscar eingeheimst – natürlich. Sie zeigen, in welchem Alter die Britin mit der Produktion der jeweiligen Platte begonnen hat. Die ersten „30“-Lieder erblickten 2019 das Licht der Welt, vor Adeles Geburtstag am 5. Mai. Damals war ihre Ehe bereits am Ende, sie hatte sich von ihrem Mann Simon Konecki, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Angelo hat, getrennt.

Als das öffentlich wurde, rumorte es ordentlich in den sozialen Medien. Die einen schockierte die anstehende Scheidung einfach bloß, andere hofften auf neue Musik. Schließlich braucht Adele als Inspiration für ihre Songs die persönliche Misere, das Nachtrauern, das Abnabeln – so war es jedenfalls in der Vergangenheit.

Wider aller Erwartungen ist „30“ aber kein klassisches Trennungsalbum geworden. Eigentlich verhandelt nur die erste Single „Easy on me“ wirklich Adeles gescheiterte Ehe. Wenn die Musikerin ihren Ex bittet, er möge nicht allzu hart mit ihr ins Gericht gehen, ist das herzzerreißend. Verse wie „You can't deny how hard I have tried / I changed who I was to put you both first / But now I give up“ singt die 33-Jährige mit Hingabe – ohne ihre seelischen Narben zu verhehlen. Diese Klavierballade mit Mollakkorden, die den markanten Gesang in den Fokus rückt, ist eine typische Adele-Nummer. Allerdings steckt sie keineswegs den musikalischen Kurs für die gesamte Platte ab.

Teilweise kommt Adele mit Liedern um die Ecke, die man so von ihr noch nicht kannte. Sie war in einer Phase des Umbruchs – beruflich und privat. Um ihre Angststörung zu bekämpfen, begann die Künstlerin exzessiv Sport zu machen. Sie stellte ihre Ernährung um, sie nahm ab, sie scheute im Studio nicht vor einer Veränderung zurück. Neben Greg Kurstin, Tobias Jesso Jr., Max Martin und Shellback holte sie erstmals den Londoner Produzenten Inflo ins Boot. Er erinnerte sie wieder daran, dass nicht jedes Lied auf Hochglanz poliert werden muss. So traut sich Adele, in dem R'n'B-lastigen Schlaflied „My little Love“ Sprachnachrichten ihres Sohnes einzubauen, der ihr Fragen stellt. Gnadenlos ehrlich bekennt sie in diesem Titel, dass sie noch viel zu lernen hat.

Überhaupt ist Selbstreflexion eines ihrer zentralen Themen. Das sich aus der Klavierintimität mit einem Sixties-Vibe ins Opulente hochschraubende „I drink Wine“ lässt diesbezüglich aufhorchen. „I hope I learn to get over myself“, singt Adele. Sie strebt nach Weiterentwicklung. Im Alltag hat sie auf diesem Vorhaben bereits die Konsequenz gezogen: Sie hörte auf zu trinken. Sicher auch, weil ihr im Mai verstorbener Vater Alkoholiker war. Adele wuchs ohne ihn auf, nachdem er sie und ihre Mutter verlassen hatte. Sie pflegte lange keinen Kontakt mehr zu ihm, erst kurz vor seinem Krebstod söhnte sie sich mit ihrem Vater aus.

Trotz ihrer Verluste gibt Adele aber nicht auf. Sie kämpft sich zurück ins Leben, sie flirtet wieder. Zunächst nur widerwillig und etwas irritiert. Ziemlich schnell stellt sie in dem Titel „Can I get it“ klar, dass oberflächliche Dates grundsätzlich nicht ihre Welt sind. Sie wünscht sich eine echte Beziehung – auch wenn sie erst mal Frösche küssen muss, bevor ein Prinz dabei ist. Nur ist es für einen Superstar halt gar nicht so leicht, überhaupt auszugehen. Die groovige Clubnummer „Oh my God“ bringt das auf den Punkt.

Wie es sich für Adele anfühlt, sich wieder zu verlieben, beschreibt dann die mit einem Errol-Garner-Sample angedickte Interlude „All Night Parking“. Die Sängerin hat keine Lust mehr, auf irgendwelchen Partys rumzustehen. Sie will nur noch nach Hause, um von ihrer neuen Liebe zu träumen. Gut geht diese Fernbeziehung leider nicht aus. Im nächsten Stück „Woman like me“ rechnet Adele schon eiskalt mit ihrem Verflossenen ab. Sie beschimpft ihn als selbstgefällig, als faul, als unsicher. Er habe das Potenzial ihrer Beziehung verschwendet. Wieder einmal ist die Sängerin hin- und hergerissen zwischen Verletztheit und Selbstvertrauen. Genau das macht ihre besondere Aura aus.

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