Ausstellung im Museum Folkwang Bei Keith Haring musste alles raus

Essen · Das Museum Folkwang erinnert mit einer Ausstellung an Keith Haring. Der an Aids verstorbene Künstler traf mit seiner gesellschaftskritischen Pop Art den Nerv der USA in den 1980er Jahren.

 Keith Haring übte mit seinen plakativen Werken oft eine subtile Form der Gesellschaftskritik.

Keith Haring übte mit seinen plakativen Werken oft eine subtile Form der Gesellschaftskritik.

Foto: Museum Folkwang /

Keith Haring trug die Dinge nicht lange mit sich herum. Was ihn bewegte, musste er sich rasch von der Seele malen – oder tanzen, agitieren, mit anderen Künstlern und Musikern auf die Straße gehen. Dort war er zuhause, dort hinterließ er seine comicartigen Gestalten, diese Männchen, die ständig in Bewegung sind: kämpfend, in Massen ineinander verknäuelt, beim Sex oder mit dem Tode ringend. Im Essener Museum Folkwang begegnet man ihnen jetzt auf großformatigen Leinwänden, in Zeichnungen und Siebdrucken, während deren vor 30 Jahren früh gestorbener Schöpfer auf Videos bei der Arbeit und in New Yorker Bars zu beobachten ist. Der Sound gehört dazu.

Die größte Überraschung, die diese wilde, laute Schau bietet, ist Harings hohe Kunst der Komposition. Wie seine Strichmännchen durch ein 15 Meter breites, grafisch dicht gefülltes Labyrinth zu eilen scheinen, wie man ihnen zwischen Schlangenlinien und Mäandermustern erst auf die Spur kommen muss, wie der eine auf einer Uhr tanzt, der andere mit übereinandergeschlagenen Beinen am Kreuz hängt – all das bescheinigt dem Künstler der Straße extremes Können. Es reiht ihn ein in die Besten seiner Zunft.

Neben den labyrinthischen Bildern gibt es etliche, die sich schon auf den ersten Blick erschließen: ein gelbes Strichmännchen zum Beispiel, durch dessen Loch im Bauch drei rot gesprenkelte Hunde springen, ein anderes Männchen, das mit einer Fackel auf einem Delfin reitet, und ein Hund, dessen Bauch aus einem Ghettoblaster besteht. Man kennt die Motive allesamt, doch was sie im Zusammenhang bedeuten, ist oft schwer zu verstehen. Die Titel der Arbeiten helfen kaum weiter, denn sie lauten fast alle gleich: „Ohne Titel“.

Es gibt aber Motive, die wiederkehren und auf Keith Harings Biografie verweisen: das christliche Kreuz zum Beispiel, für ihn das gehasste Zeichen seiner evangelikalen, von Machtmissbrauch bestimmten Jugend in den USA, aus der er sich früh befreite, ein Kreuz aus gleich langen Balken in der Bedeutung von „Opfer“ und jenes Loch, das schon seine „Gelbe Figur“ von 1982 kennzeichnete und auf einem rot-schwarzen, alptraumhaften Gemälde von 1987 wiederkehrt. Damit reagierte er auf die Ermordung John Lennons 1980: „Am nächsten Morgen wachte ich auf und hatte das Bild von dem durchlöcherten Mann vor Augen – ich habe dieses Bild immer mit dem Tod von John Lennon assoziiert.“

Keith Harings ästhetisches Genie ist schwer zu ergründen. Was dagegen seine Motive anlangt und die Haltung, die hinter den Bildern steckt, so erklärt sich seine Kunst recht simpel aus seiner Biografie. In Pennsylvania geboren und dort von seinem Vater für das Zeichnen von Comicfiguren begeistert, kam er 1978 mit 20 Jahren nach New York, schaute sich von der Graffiti-Szene einiges ab, studierte an der School of Visual Arts und lernte aufstrebende Künstler von Kenny Scharf bis Jean-Michel Basquiat kennen. Mit einer Schriftschablone sprühte er den Text „Clones Go Home“ auf die Wände entlang der Bürgersteige zwischen East und West Village – ein Statement gegen den Zuzug von Neureichen in sein Viertel. Weitere Ziele seiner umfassenden Gesellschaftskritik waren Ronald Reagan, die atomare Aufrüstung, der Kalte Krieg, Rassismus, Militär und die Großindustrie. Seine Sympathie dagegen galt sexueller Freizügigkeit, Schwulen und Lesben sowie den Opfern von Aids, der Krankheit, der er nach nur gut zehn Schaffensjahren im Alter von 31 letztlich selbst erlag.

Viele dieser bildnerischen Stellungnahmen erschließen sich auf Anhieb, andere wirken vieldeutig, doch kann man sich meist einen Reim darauf machen. Wie ein Dollarzeichen in seiner Kunst Gier bedeutet, so kann man sicher sein, dass eine Pilzwolke für nukleare Abrüstung demonstriert. Die Pop-Kultur ist in allem gegenwärtig, von den beiden schwarzen Türen der Galerie Paul Maenz, die Haring 1984 mit Kreide bemalte und die der Galerist aushing und als Kunst mitnahm, bis zu den zehn berührenden Siebdrucken „Apokalypse“ von 1988, die der Künstler noch vor Kenntnis seiner Krankheit zu Ende brachte, und die das Museum kürzlich erwarb. Noch einmal fährt Keith Haring darin sein Motivrepertoire auf, schlägt einen Bogen von der Mona Lisa über Ungeheuer und einen kirchlichen Würdenträger bis zum Sperma des Todes, das über die Welt triumphiert.

 Die meisten Arbeiten haben keine Titel, wie dieser Hund aus dem Jahr 1982.

Die meisten Arbeiten haben keine Titel, wie dieser Hund aus dem Jahr 1982.

Foto: Museum Folkwang /
 Die Schau „Rettet die Liebe“ widmet sich Plakaten zur Aids-Prävention.

Die Schau „Rettet die Liebe“ widmet sich Plakaten zur Aids-Prävention.

Foto: Museum Folkwang /

Wie sehr Aids diese Welt immer noch in Atem hält, das bezeugt die Ausstellung „Rettet die Liebe! Internationale Plakate gegen Aids“ im Ausstellungsraum schräg gegenüber durch eine erschreckende Infektionsstatistik. Plakate von allen Kontinenten werben dort für die Verwendung von Kondomen. Selbst das Sultanat Oman gibt sich da ganz aufgeklärt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort