Ausstellung in Berlin Gerhard Richter abstrakt

Potsdam · Das Potsdamer Museum Barberini zeigt 90 Werke des Künstlers, die nichts abbilden, sondern in vollkommen abstrakte Welten führen.

 Gerhard Richter in seinem Atelier bei der Arbeit am Modell für die Ausstellung im Museum Barberini, 2018.

Gerhard Richter in seinem Atelier bei der Arbeit am Modell für die Ausstellung im Museum Barberini, 2018.

Foto: Hubert Becker/ Gerhard Richter/Hubert Becker

Die Abstraktion ist für mich das Alltägliche: Sie ist normal, so wie das Laufen oder das Atmen.“ Das hat Gerhard Richter vor fast 20 Jahren einmal ganz nebenbei gesagt. Aber kein Kunsthaus und kein Kurator hat die Bemerkung aufgegriffen und daraus eine publikumswirksame Kunstperformance entwickelt. Jedenfalls war bisher noch niemand auf die Idee gekommen, das opulente abstrakte Werk des international bekanntesten und teuersten zeitgenössischen deutschen Künstlers eingehend zu sichten und in einer eigenen Schau auszubreiten. Natürlich hat es immer wieder groß angelegte Würdigungen von Richters Gesamtwerk gegeben, die zwischen New York, Berlin und anderen Kunstmetropolen hin und her pendelten. Meistens standen dann Richters gegenständliche Bilder im Vordergrund, seine unscharfen Porträts, seine verwischten Landschaftserkundungen und übermalten Fotos. Doch seine Exkursionen in die Welt der Abstraktion, die aus nichts als Farbe besteht und keinerlei Wirklichkeit außerhalb des Bildes kennt, spielte immer nur eine Nebenrolle.

Dabei, und das macht jetzt die mit über 90 Werken auftrumpfende Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini deutlich, spiegelt die Abstraktion den Kern seiner künstlerischen Ambitionen. Gefragt, was ihn beim Malen an- und umtreibe, erwiderte der inzwischen 86-jährige Richter in Potsdam: „Was ich beim Malen denke? Nichts. Ich male. Mein Denkvorgang in dem Sinne ist das Malen.“

Das von SAP-Mitbegründer und Kunstmäzen Hasso Plattner gegründete Museum Barberini öffnete im Januar 2017 die Pforten des zum Kunsttempel umfunktionierten Barock-Palais. Mit Ausstellungen über französische Impressionisten, amerikanische Moderne, Kunst der DDR und zuletzt mit einer Werkschau über Max Beckmann hat Museumsdirektorin Ortrud Westheider seitdem schon über 600.000 Besucher nach Potsdam gelockt. Kaum jemand dürfte bemerkt haben, dass in einem kleinen Nebenraum ein erst kürzlich erworbenes und im Museum seltsam verwaistes abstraktes Bild von Gerhard Richter hing: „A B, Still“, gemalt 1986, ein Farbrausch in Rot, Blau, Grün und Gelb, übereinander geschichtete Farbflächen, abgekratzt und wieder neu aufgetragen, Farbexplosionen, mit dem Rakel über die Leinwand gezogen und ineinander geschoben: Ein verstörendes, ganz und gar sich selbst genügendes und auf nichts als sich selbst verweisendes Werk.

Der Ankauf dieses Bildes vor knapp zwei Jahren scheint der Auftakt zu einer wunderbaren Freundschaft zwischen Museum und Künstler gewesen zu sein, aus der nun auch ein überzeugendes Ausstellungskonzept entstand.

Glaubhafte Zeugen berichten, den Künstler dabei beobachtet zu haben, wie er auf einer Leiter balancierte und höchstpersönlich die Museumswände in weiße Farbe tauchte: Für ihn und seine Bilder kommen nur weiße Wände in Frage.

Zusammengetragen und chronologisch geordnet wurden Werke aus verschiedenen Museen und Privatsammlungen, einige der Exponate wurden kaum je öffentlich gezeigt. Die Suche nach dem Zufall, das Spiel mit den Kunsttraditionen und der Versuch, das Schöpferische selbst zum Thema zu machen, beginnt bei Richter schon kurz nach seiner Flucht von Ost nach West. Bereits in den 1960er Jahren, und damit beginnt die Schau, malt er monochrome graue Bilder, einen grauen Vorhang, eine graue Landschaft, eine verspiegelte graue Fläche. Dann stürzt er sich in die Farben, rastert mal vier riesige, mal mehrere Dutzend kleinere, mal über 1000 Mini-Farbtafeln nach dem Zufallsprinzip auf die Leinwand.

Später, in den 1970er und 80er Jahren, wird Richter mit Pinsel, Spachtel und selbst gebautem Rakel regelrechte Farbschlachten veranstalten, geheimnisvolle Farbschlangen und bizarre Farbschlieren vermengen. Er wird seine wilde, bunte Palette fotografieren, die überdimensional aufgeplusterten, unscharfen Fotos abmalen und das Auge des schwindeligen Betrachters verwirren. Gelegentlich tänzelt er auch auf der Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, schichtet vor einem hellblauen Himmel dunkle Farbballungen auf: man meint das Meer und Klippen zu erkennen.

Manchmal verkeilt und verkratzt er grüne und gelbe Farben so ineinander, dass einem Landschaften in den Sinn kommen. Dann wieder schichtet er Glasscheiben zu einem fragilen Kartenhaus, in dem sich der Betrachter spiegelt, oder er lässt den digitalen Drucker für sich arbeiten und plakatiert die Räume mit gigantischen Farblinien. Richter spielt mit unseren Erwartungen, schafft Kunst-Illusionen. Und wenn wir glauben, ihn verstanden zu haben, ist er immer schon einen Schritt weiter und hat zu neuen Abstraktionen und Kunst-Schöpfungen gefunden. „Bilder“, sagt Richter, „stellen immer etwas dar, was sie nicht sind. Auch abstrakte Bilder lesen wir, suchen wir ab, um zu erfahren, was da gezeigt wird. Nur so Farbe, das wäre ja langweilig.“ Langweilig, das kann man mit Fug und Recht sagen, ist Richter aber nie.

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