Wuppertal Momente aus Pina Bauschs Werk

Wuppertal · Die Fotografin Donata Wenders hat ihren Mann Wim Wenders bei den Dreharbeiten zum Tanzfilm "Pina" begleitet. Ihre Fotos lassen das ausdrucksstarke Tanztheater von Pina Bausch zu Momenten gerinnen. Jetzt sind sie in einem wuchtigen Bildband erschienen.

Die Tänzerin hat die Hände vorgestreckt, unschuldig wie ein Kind. Die Augen hat sie geschlossen, das Haar gelöst, auf dem nackten Körper trägt sie nur ein dünnes Hemd. Gleich wird sie sich mit tappenden Schritten einen Weg bahnen durch all die schwarzen Stühle auf der Bühne. Sie wird verloren aussehen im sperrigen Interieur dieses Café Müller, eine einsame Wandelnde voller Sehnsucht nach Berührung, nach einem anderen Menschen. Aber noch steht sie da, als schaue sie in sich hinein, als warte sie auf den Impuls, der sie in Gang setzt.

Donata Wenders hat diesen Moment festgehalten – einen Augenblick aus dem Tanzstück "Café Müller", das Pina Bausch 1978 am Tanztheater Wuppertal entwickelt hat. Es ist eines von vier Stücken, die Wim Wenders für seine Dokumentation "Pina" über das Werk der Erfinderin des Tanztheaters gefilmt hat. Eigentlich sollte seine Arbeit ein Film mit Pina werden. 20 Jahre hatten die befreundeten Künstler darüber nachgedacht, wie man Tanz mit der Kamera bannen, eine flüchtige Kunst für die Nachwelt festhalten könnte. Dann machte die 3D-Technik einen Schub, Wenders sah plötzlich einen Weg für den räumlich gedrehten Tanzfilm und machte sich ans Werk – bis zum 30. Juni 2009, als Pina Bausch unerwartet starb. Erst wollte Wenders hinschmeißen, doch Bauschs Tänzer überredeten ihn, das Vorhaben zu Ende zu bringen – als Film für Pina, wenn schon nicht mehr mit ihr.

Die Dreharbeiten zu dieser mehrfach ausgezeichneten, oscar-nominierten Dokumentation hat die Frau des Regisseurs, Donata Wenders, mit dem Fotoapparat begleitet. Sie hat die Tänzer porträtiert, sie bei den Dreharbeiten beobachtet, entscheidende Augenblicke während der Aufführungen festgehalten. Starke, in sich ruhende Bilder sind dabei entstanden.

Eigentlich ein vollkommen widersinniges Unterfangen – Fotos von einer Kunstform zu machen, die von der Bewegung lebt, erstarren zu lassen, was fließen muss. Doch das Tanztheater von Pina Bausch lebt eben nicht nur von der Bewegung, sondern vom gesamten Ausdruck der Körper, der Mimik, der Gesten, der Haltungen. Es lebt von der Persönlichkeit der Tänzer. Bausch ging es nie um die abstrakte Schönheit der Form, sondern um Wahrheit, um den gültigen Ausdruck von Zorn und Liebe, von Einsamkeit und Zutrauen, von Gewalt und Sanftmut – von menschlichen Gefühlen.

All das ist in Donata Wenders Fotos zu sehen, und es hat einen eigentümlichen Reiz, in Momenten aus Pina Bauschs Choreografien verharren, bestimmte Haltungen oder Gesichtsausdrücke eingehend studieren zu können. Ist ein Tanzabend doch immer eine Überforderung, weil er die Sinne und den Geist herausfordert, aber immer schneller ist als der Betrachter. Wenders Momentaufnahmen halten inne, sie fangen Stimmungen ein, zeigen Zustände und schenken dem Betrachter Zeit.

Nur in wenigen Aufnahmen zeigt Donata Wenders das Filmteam bei der Arbeit, ihr Bildband ist keine Set-Reportage. Die Fotografin hat ihren eigenen Zugang zum Werk Pina Bauschs gesucht und gefunden. Ihre Bilder sind in ihrer Ästhetik konventionell, aber sie verraten die Nähe des Paares Wenders zu den Tänzern. So wirken auch die Einzelporträts der Künstler aufrichtig. Dazu sind an wenigen Stellen Gedanken der Tänzer vermerkt, die ahnen lassen, wie außergewöhnlich die Bindung zwischen Pina Bausch und ihrem Ensemble war. Wenn etwa Ruth Amarante erzählt: "Als ich anfing, war ich ziemlich scheu – bin es noch – und nach monatelangen Proben rief sie mich und sagte: Du musst einfach verrückter werden! Das war der einzige Kommentar in fast 20 Jahren." Oder wenn Clémentine Deluy sagt: "Also, Pina, ich habe immer noch nicht von Dir geträumt! Es wär' gut, wenn Du mal auftauchen würdest. Ich warte auf Dich, Pina."

Man kann Pina Bausch in diesem Bildband begegnen. Sie ist anwesend in den Gesten, in den Blicken ihrer Tänzer. Sie lebt in ihnen fort und mit ihnen ihr Werk. Das ist das Tröstliche dieses Buches.

(RP)
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