Festival mit Tradition Moers feiert Geburtstag

Moers · 50 Jahre nach der Gründung des Moers Festivals setzt der Leiter Tim Isfort zu Pfingsten weiter auf Experimente und öffnet einen neuen Spielort unter freiem Himmel.

 Die israelische Performerin Maya Dunietz.

Die israelische Performerin Maya Dunietz.

Foto: Goni Riskin/Moers Festival

Das Moers Festival ist jetzt 50 Jahre alt. Von 1972 bis 2005 erspielte es sich einen legendären Ruf unter dem Namen „Internationales New Jazz Festival Moers“. Im Jubiläumsjahr (und damit zur 51. Ausgabe) stellen die Veranstalter hingegen klar: „This is not a jazz festival“ (Dies ist kein Jazz Festival). In der gleichnamigen Diskussion im wieder an Pfingsten, also vom 3. bis 6. Juni, stattfindenden Programm mit Musikern, Journalisten und Wegbegleitern fragt man allerdings im selben Atemzug: „Is this noch a jazz festival?“

Der hinter einem solchen, in wildem Denglisch formulierten Motto stehende Humor geht auf den anarchischen Stil von Tim Isfort zurück, der seit 2017 Festivalleiter ist. Er hat sich in fünf Jahren und mit zwei sehr kreativen Corona-Ausgaben eine so große Reputation erspielt, dass sein Vertrag vor kurzem gleich bis 2028 verlängert wurde. Isfort und sein Team können also in aller Planungssicherheit eine Agenda der Freiheit fortführen: Das Festival wolle „experimentieren, Avantgarde und Ort der Befreiung sein – will den immer bedrückenderen Zeitläufen die Kraft der Improvisation, des Gemeinsamen, des Miteinanders entgegensetzen. Wahre Freyheidt!“, heißt es im Programm, aus dem wir einige Höhepunkte vorstellen.

Raus aus dem Internet Nach zwei Corona-Ausgaben, die digital (mit Live-Zuschauern) und hybrid (mit rund tausend Zuschauern unter freiem Himmel) stattfanden, kann das Moers Festival endlich wieder normal vor Publikum stattfinden – und sogar den Händlermarkt veranstalten. Getreu Tim Isforts Wortwitz heißt er dieses Jahr „Park-Food-Improschmuck-Streichel-Game-Parcours“ und wird wahrscheinlich etwas kleiner ausfallen als zuletzt, weil „etwa ein Drittel der Händler die Pandemie nicht überlebt hat“, wie der Leiter informiert. Deshalb ist sein Appell: „Kommt nach Moers. Kommt in den Park. Es wird wirklich einen Neustart geben!“

Zu diesem Neustart gehört, dass nach dem großen Erfolg des vergangenen Jahrs neben der Festivalhalle die nahe Open-Air-Bühne „AmViehtheater am Rodelberg“ zum Podium für das Hauptprogramm wird und es teilweise sogar parallel bespielt. Wer sich zwischen den Konzertangeboten gar nicht entscheiden mag, kann theoretisch sogar versuchen, beide mitzubekommen: Mit dem „moersland“ wird es wieder ein Streaming-Angebot geben.

Israel Ein Schwerpunkt des Musikprogramms liegt dieses Jahr auf der Szene Israels. Die mittlerweile weltweit agierende Komponistin und Performerin Maya Dunietz (Klavier und Flöte) aus Tel Aviv schrieb nach intensiven Recherchen einen Zyklus auf arabische Gedichte, die aus Palästina stammen. Begleitet vom zeitgenössischen Meitar-Ensemble stellt sich der Mädchenchor des Essener Doms der Herausforderung, die arabische Poesie zu interpretieren. Außerdem ist Dunietz im Duo Perpetum Disco mit dem Schlagzeuger Ram Gabay zu erleben. Dessen dichte Rhythmen und 80er-Jahre-Keyboards schrappen so gerade am Tanzbaren vorbei. Ein internationales Schwergewicht aus der israelischen Szene ist auch der Saxofonist Assif Tsahar, der sein Instrument erst mit 17 entdeckte und mit Anfang 20 gleich nach New York ging, um mit Größen wie Cecil Taylor und William Parker zu spielen.

Äthiopien Schon im vergangenen Jahr blickte das Festival auf Äthiopiens Metropole Addis Abeba. „Addis Vibrances“ heißt jetzt ein Projekt, das Endris Hassen präsentiert, der ein Virtuose an der Masinko ist, einer einsaitigen Kastenspießlaute. Das zwölfköpfige Vokalensemble Gamo Gamo bringt originäre Musik- und Tanztradition der äthiopischen Kultur an den Niederrhein. Und Kaÿn Lab repräsentieren die Jazzszene Äthiopiens und des Südsudans – polyrhythmisch und mit spielerischer Leichtigkeit.

Versöhnung So wie das Projekt der Israelin Maya Dunietz mit palästinensischen Gedichten auf Versöhnung ausgelegt ist, schlägt auch ein anderes Brücken: Der russische elektronische Soundartist Pavel Milyakov spielt zusammen mit der ukrainischen Vokalistin Yana Pavlova. Milyakov ist als überzeugter Kriegsgegner zurzeit auf der Flucht, da ihm in seiner Heimat eine Gefängnisstrafe droht.

Entdecken Man könnte noch so viele Namen aus dem Moers-Programm nennen: Aus den USA kommen die Horse Lords und spielen Art-Rock. Die Britin Bex Burch, die sonst die westafrikanische Gyil spielt, begibt sich mit ihrem neuen Projekt Flock an moderne Nachfolger wie das Vibrafon und zahlreiche elektronische Instrumente. Im interkulturellen Projekt „The Hidden Tune“ wagen die ehemaligen Improviser in Residence Angelika Niescier und John-Dennis Renken einen musikalischen Dialog mit einem achtköpfigen malayischen Perkussionsensemble. Und als aktuelle Nachfolgerin wirkt die Cellistin Tomeka Reid aus Chicago in der Stadt. Letztlich sagen all diese Namen aber vorerst sowieso nur Insidern etwas – und deshalb lohnt sich, ganz unvoreingenommen auf Entdeckungsreise zu gehen.

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