Konzert Playback und Pirouetten

Mönchengladbach · Vor 16000 Fans drehte Britney Spears im Sparkassenpark eine Runde durch ihre Popgeschichte.

 Britney Spears

Britney Spears

Foto: Getty Images/Kevin Mazur/BCU18

Für ihren Besuch in Mönchengladbach hat sich Britney einen wechselhaften Tag ausgesucht. Fans, die  sich teils schon Stunden vor dem Konzert am Stadion trafen, haben mehrere Regenschauer über sich hinwegwaschen lassen, bevor sich endlich die Sonne zeigt. Die steigt jedoch nicht hinter den Wolkenbergen hervor, sondern strahlt von der Bühne. Braungebrannt und trotz 18 Grad gekleidet wie für den heißesten Tag am Strand. Anderthalb Stunden lässt sie das Publikum feiern und tanzt, nein, kämpft sich durch ihre Choreografie, als ob es keinen Morgen gäbe. Dabei kann sie sich ganz auf die Bewegung konzentrieren, denn ihr kompletter Gesang kommt vom Band.

New York, Paris, Gladbach: Nicht wenige werden sich über den Ort ihrer Wahl gewundert haben. Die stellte sich jedoch als gut getroffen heraus. Aberhunderte bekommen die Pop-Königin im Innenbereich des fast ausverkauften Sparkassenparks überraschend nah zu sehen, ohne sich gegenseitig auf die Zehen zu treten. Freundinnen, die ihre Haare zu „Pigtails“ gebunden haben, seitlich abstehenden Zöpfen, wie Britney sie vor 19 Jahren im Video zu „… Baby One More Time“ getragen hat. Auffällig viele schwule Paare, für die Britney eine Ikone ist – ohne dass noch irgendjemand wüsste, warum. It‘s Britney, Bitch.

Schon im ersten Lied „Work Bitch“ wirft sie sich auf den Boden, reißt sich wieder hoch, marschiert umher. Sie dreht Pirouetten, wirft den Kopf herum, dass ihr Pferdeschwanz fliegt, bleibt abrupt stehen und stolziert wieder los. Die Sängerin spielt sich mit Bühnenpräsenz nach vorn, und das muss sie, denn sie singt nicht. Kurz fühlt man sich ertappt, wie man denkt: Vielleicht ist das auch besser. In einer der Publikumsansprache hört man kurz ihre echte Stimme, und die klingt piepsig, quäkend – menschlich.

Den Menschen, der Britney Spears heißt, lernen die Zuschauer am Montagabend naturgemäß nicht kennen. Vielleicht ging es den Besucher ihrer Dauer-Show, die sie seit Jahren in Las-Vegas aufführt, anders: Die Konzerte erzählen Stationen aus dem Leben der Frau, die mit 19 Jahren ihren Durchbruch erlebte. Sie zeigen eine Person, die sich zwischen der Rolle des braven, jungfräulichen Mädchens und der sexualisierten Britney in „I‘m A Slave 4 U“ bewegt. Sie zeigen nicht, wie das Popstar-Leben, gescheiterte Ehen und der Druck der Öffentlichkeit sie kurzzeitig in die Psychiatrie brachten.

Aus dieser für sie dunklen Zeit hat sich Britney längst emporgehoben. Sie wirkt wieder stark und selbstbewusst, wenn sie sich zu „Toxic“ durch die Haare fährt, bei „Womanizer“ mit dem Hintern wackelt und – die Zuschauer johlen – zu „Freakshow“ einen Tänzer an der Leine führt. Sie lässt die Menge tanzen und „Crazy“ laut mitsingen, sich bei „Breathe On Me“ küssend in den Armen liegen. Britney hat sie in der Hand, und umgekehrt scheint es genauso. Hunderte Smartphones filmen, wenn sie sich lasziv an die Bühnendeko lehnt, auf einen Berg aus Stühlen klettert oder sich von ihrer Background-Truppe hochheben lässt. Jeder bekommt ein Stück von ihr, wie der Titel der Tour „Piece Of Me“ versprochen hat.

Doch eigentlich bekommt niemand etwas, das wirklich von ihr stammt. Weder ihre Stimme, noch einen Blick auf die Persönlichkeit, die hinter der Fassade des Engels stecken muss. Und selbst zahlenden Kunden das zu verwehren, ist ihr gutes Recht. Am Ende ist das Glück, das die Konzertbesucher empfinden, wenn sie nach dem letzten Lied im glitzernden Konfettiregen applaudieren, vielleicht etwas, das sie schon mit der Karte erworben haben.

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