Junges Schauspielhaus Narrenschiff im Jagdfieber

Mit Herman Melvilles „Moby-Dick“ kommt ein klassischer Stoff auf die Bühne des Jungen Schauspiels. Die Premiere am 9. September betreut die neue Dramaturgin Leonie Rohlfing.

Eduard Lind, Jonathan Gyles, Natalie Hanslik in „Moby-Dick“.

Eduard Lind, Jonathan Gyles, Natalie Hanslik in „Moby-Dick“.

Foto: Thomas Rabsch

Ein packender Roman liefert die Vorlage zur ersten Saison-Premiere am Jungen Schauspielhaus: „Moby-Dick“ von Herman Melville. Das wuchtige Werk, 1851 erschienen, erzählt von Kapitän Ahabs irrwitziger Jagd über die Weltmeere. Getrieben von Rache, ist er besessen davon, jenen weißen Wal zu töten, der ihm ein Bein abgerissen hat und entkommen ist. Wer das Tier an Bord der Pequod zuerst sichtet, soll eine Belohnung erhalten. Mit seiner blindwütigen Vergeltungssucht reißt Ahab die Seeleute mit ins Verderben.

Wie aber bringt man das Kunststück fertig, aus 900 Seiten ein wohl dosiertes Quantum von 90 Minuten Spieldauer zu destillieren? Erarbeitet wurde die „Moby-Dick“-Fassung von Regisseur Robert Gerloff und dem bisherigen Dramaturgen David Brückel. Die neue Dramaturgin Leonie Rohlfing übernahm die Inszenierung auf der letzten Etappe bis zur Premiere am 9. September. Bei der Annäherung an den Stoff sei vor allem eines wichtig gewesen: „Zu wissen, was wir erzählen und welche Aspekte wir auf der Bühne bringen wollen. Wenn man sich einmal entschieden hat, gelingt es auch, aus dem Wälzer die passenden Szenen herauszufischen.“ In diesem Fall sind es Abenteuerlust, die Dynamik unter den Crew-Mitgliedern, die auf engem Raum miteinander auskommen müssen. Und der Wahn des Kapitäns, die jahrelange Verfolgungsjagd gegen jede Vernunft nicht aufzugeben.

„Moby-Dick“ wendet sich an ein junges Publikum ab 15 Jahre. Welche Themen könnten für diese Zielgruppe spannend sein? „Es wird darauf geschaut, wie eine Gruppe funktioniert“, beschreibt Leonie Rohlfing. „Jemand muss eine Entscheidung treffen, andere übernehmen die Aufgabe, sie zu kommunizieren. Und dann braucht es helfende Hände, die sie umsetzen.“ Prozesse, die auf Jugendliche gut übertragbar seien. „All das kommt in ihrem Alltag vor, im Klassenverbund oder beim Sport. Wer etwas erreichen will, sollte zusammenhalten und einen gemeinsamen Kurs fahren.“

Von diesem Kurs droht die Mannschaft der Pequod in rauer See abzukommen. In seinem Wahn und dem unbedingten Willen zur Jagd, koste sie, was es wolle, bringt der cholerische Kapitän sein Narrenschiff in gefährliche Schieflage. Er muss sich fragen lassen, ob sein Vorhaben noch angemessen ist oder er sich auf einer falschen Fährte befindet. Auch hier ließe sich leicht eine Parallele zur Gegenwart ziehen, erklärt Leonie Rohlfing. „Nehmen wir die Klimakrise. Entgegen allen Warnungen halten dennoch viele politische Entscheidungsträger an der Vorstellung eines stetig steigenden Wirtschaftswachstums fest. Das macht uns manövrierunfähig. Nötig wäre ein klarer Kurswechsel, dem man dann auch wirklich Folge leistet.“

Im Roman gibt es am Ende nur einen Überlebenden. Und im Stück? Sie zögert kurz und lächelt dann: „Aktuell sind wir da werktreu. Auch die stürmische See spielt eine große Rolle, wir verlangen unserer Technik so einiges ab.“ Rundweg düster sei die Inszenierung aber nicht. „Das Tolle daran ist, dass es packende Szenen gibt, in denen man mitfiebert mit der Crew. Gleichzeitig blitzen viele heitere Momente auf, als kleine Auflockerung für das Publikum.“ Sich dem Klassiker auf diese Weise zu widmen, könne großen Spaß machen. Und die Schüler bestenfalls dazu bringen, ihn anschließend aus Interesse zu lesen.

Manchmal, berichtet Leonie Rohlfing aus eigenem Erleben, genüge ein Impuls, um junge Menschen für etwas zu begeistern. Kurz vor dem Abitur in Hannover entdeckte sie durch eine Lehrerin ihre Faszination fürs Theater. „Vorher musste man sich mit der Klasse Stücke anschauen. Auf einmal war es kein Zwang mehr, weil sie uns vermitteln konnte, wie cool Theater war.“ Diese Faszination war so stark, dass sie sich dazu entschied, Theater zu ihrem Beruf zu machen. Nun ist sie Teil der Dramaturgie am Jungen Schauspiel. Und weiß auch, warum: „Mir hat die herzliche Atmosphäre an diesem expliziten Standort für junges Theater sofort zugesagt“, sagt sie. „Schon im Bewerbungsprozess fühlte ich mich total willkommen. Hier, dachte ich, bin ich im richtigen Team, um meine Erfahrungen einzubringen.“

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