Neues Album von Depeche Mode So schön kann Schwermut sein
Depeche Mode sind nach dem Tod von Andy Fletcher zum Duo geschrumpft. Das neue Album „Memento Mori“ klingt wie ein Abschiedsbrief an den verlorenen Freund. Und einen Liebes-Gruß nach Düsseldorf gibt es auch.
Ein neues Album von Depeche Mode war in den vergangenen Jahren immer eine gute Nachricht. Aber nicht deshalb, weil man dieses Album dann auch gerne gehört hätte, sondern weil es der allseits heiß geliebten Band einen Anlass bot, wieder auf Tournee zu gehen. Und Konzerte von Depeche Mode sind nun mal so erhaben und erhebend, dass man danach mindestens zwei Jahre durchs Lebens schwebt. Insofern liefert das Erscheinen von „Memento Mori“ nun gleich zwei gute Nachrichten: Sie spielen wieder live. Und: Das Album ist klasse, vielleicht sogar das beste der Band in 25 Jahren.
Dabei waren die Voraussetzungen überhaupt nicht schön. Im Mai 2022 starb Andy Fletcher, den Laien als Keyboarder der Band bezeichnen würden, der im DM-Kosmos aber so viel mehr gewesen ist. Ein bisschen Manager, zudem erster Fan, vor allem aber der Punching Ball zwischen dem düster träumenden Sound-Genie Martin Gore und der flamboyanten Diva Dave Gahan. Er brachte sie ins Lot und machte dadurch überhaupt erst Platten und Konzerte möglich. Fletcher war 60, als er einen Riss in der Hauptschlagader erlitt. Es blieb kurz unklar, ob Depeche Mode seinen Tod überleben würde.
Sie machten dann aber doch als Duo weiter, und wie man hört, sprachen sie sich aus. Denn Gahan/Gore waren bis dahin zwar einerseits die Lennon/McCartney des Synthie-Pop, aber sie waren eben auch Nordpol/Südpol und Yin/Yang. Das Album „Spirit“ etwa soll 2017 nur gerade eben so fertig geworden sein. Gahan wollte, dass seine Songs darauf vertreten sein würden, Gore sah das nicht ein, und man sperrte sie zusammen in einen Raum, drängte sogar Fletcher hinaus, damit die zwei Super-Egos mal alles auf den Tisch legten. Tat offenbar ganz gut.
„Memento Mori“ war in den Grundzügen bereits vor Fletchers Tod fertig, „Fletch“ hatte den Titel vorgeschlagen, was von heute ausbetrachtet unheimlich ist: „Bedenke, dass Du stirbst“. Er hatte bald damit beginnen wollen, seine Keyboard-Parts aufzunehmen, doch dazu kam es nicht mehr. Und so klingt die Platte wie ein Epitaph, ein am Grab in den Wind geschriebener Liebesbrief an einen Freund. Dabei gelingt es ihnen momentweise, wie ganz früher zu klingen, als die Klassenkameraden Gore und Fletcher eine Band gründeten: „Always You“ hat etwas von einer unbekannten Single-B-Seite der mittleren 1980er-Jahre. Und „People Are Good“ beginnt wie ein Stück der von Depeche Mode hochverehrten Düsseldorfer Pioniere Kraftwerk aus deren „Computerwelt“-Ära. Überhaupt pumpen die auf „Memento Mori“ eingesetzten altmodischen Gerätschaften ganz wunderbar. Es pfeift und ächzt und schmatzt und knistert, dass es die reine Freude ist.
Zuletzt hatten Depeche Mode ihren Sound zugunsten der Atmosphäre verdichtet, sie verzichteten weitgehend auf Hits, tapezierten ihre Welt lieber mit textreichen Pamphleten darüber, dass es immer besser ist, um Vergebung zu bitten, als um Erlaubnis. Umso größer ist nun die Freude über den künftigen Klassiker „Ghosts Again“: ein wunderbar leichtes Stück, das Gore und Gahan gemeinsam abheben lassen und Richtung Himmelstor pusten.
Das Album hat eine warme Grundtemperatur, man hört ein Herz schlagen, und zu den Höhepunkten zählt sicher das von Martin Gore gesungene „Soul With Me“. Es handelt von der endgültigen Freiheit, von absoluter Leichtigkeit. Nicht alle Stücke haben jedoch dieses Aufstrebende und Hingehauchte. Zumeist ist das Tempo gedrosselt, das ebenfalls großartige „My Cosmos Is Mine“ wirkt, als würden die Sounds stehen, als singe jemand, während er im Ölbad liege. Erst im Refrain öffnet sich ein Fenster und gibt den Blick auf eine Welt frei, die aussieht wie in den späten 1980er-Jahren.
Depeche Mode sind eine Band, die seit je geübt ist im Umgang mit dem Thema Abschied. Gleich nach Erscheinen des Debütalbums „Speak And Spell“ verließ Songwriter Vince Clark die Kollegen, um zuerst Yazoo und dann Erasure zu gründen. Alan Wilder, der großen Anteil an der Wende zum Grunge und zum Gitarrensound der schwer erfolgreichen „Violator“-Phase („Personal Jesus“, „Enjoy The Silence“) hatte, ging 1995. Im Jahr danach galt Dave Gahan nach einer Überdosis für zwei Minuten als klinisch tot.
Bei all den Überraschungen, die dieses an Melodien erfreulich reiche Album bietet, sieht man gerne über die manchmal etwas kalkuliert und sepia-selig anmutende Gravitas hinweg, die einige Stücke durchzieht. Auch über „Caroline’s Monkey“, das so gut beginnt und dann irgendwie nicht zu Ende gedacht wurde und etwas unmotiviert ausläuft.
Das Größte, was man über das Album sagen kann, gilt für diese Band und ihre Kunst im Allgemeinen: „Memento Mori“ mag dem Schmerz abgerungen und aus der Schwermut geboren sein. Aber es zu hören, tut unheimlich gut.