Melvilles Erzählung "Bartleby" als Film

Er ist der zarteste Widerständische der Weltliteratur. Herman Melvilles Figur Bartleby geht nicht auf die Straße, er wirft keine Steine und sprüht keine Sprüche an die Wände. Er benötigt nur einen, inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Satz, um seine Welt zu erschüttern: "Ich würde lieber nicht."

Der Autor des "Moby Dick" schrieb seine Erzählung "Bartleby" 1853, er siedelte sie an der Wall Street an, und dort arbeitet der Titelheld als Kopist in einer Anwaltskanzlei. Er arbeitet hart, doch irgendwann verweigert er sich, "I would prefer not to" – und verschwindet. Bis heute beschäftigt diese Figur die Fantasie der Menschen, die Philosophen Giorgio Agamben und Slovoj Zizek beschäftigten sich mit ihm. Bartleby ist einer von uns.

Die Wall Street ist spätestens seit der Wirtschaftskrise wieder ein sehr aktueller Ort, und weil sich gerade heute viele Menschen die Frage nach der zeitgemäßen Erscheinungsform von Dagegensein stellen, hat der Berliner Experimentalfilmer Andreas Honneth eine Adaption des Textes gewagt.

Ihm ist ein wunderbarer Film gelungen, so fein wie die Höflichkeit, in die Bartleby sein Neinsagen kleidet. Die schwarzweiß bebilderte Handlung beginnt vor einer Kulisse, die wie für ein Puppenspiel entworfen scheint: gemalte Geschäftshäuser, ein Schild der "Lehman Brothers".

Honneth collagiert historische Aufnahmen der Wall Street und Bilder vom Gewusel, das heute auf dem Parkett herrscht, und man denkt: Im Grunde hat sich nicht viel verändert. Der eigentliche Bericht von Bartleby ist als Kammerspiel angelegt, ein karger Raum genügt, um eine Welt zu entwerfen.

Der Franzose James Thirree übernimmt in diesem Bild-Essay die Hauptrolle, er legt Bartleby als Mischung aus Punk und Puck an, als Rebell und Luftgeist zugleich. Die Nebenfiguren zitieren die burlesken Wesen früher amerikanischer Komödien, sie sind grob und gut drauf und gesund. Am Ende schlägt die Produktion um ins Phantastische; Bartleby setzt über auf die "Toteninsel" von Arnold Böcklin, und das ist wunderbar anzusehen: Honneth hat mit viel Poesie ein Höchstmaß an Wirkung erreicht. Wie schade, dass dieser Film von keinem Verleih ins Kino gebracht wird. Die gute Nachricht: Man kann ihn jetzt als DVD direkt beim Regisseur bestellen.

Info "Bartleby. Melvilles Geschichte der Wall Street" kann man für 30 Euro unter info@schwindkommunikation.de bestellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort