Neues Buch von Martin Walser Walser tritt zum „Spätdienst“ an

Nußdorf · Der inzwischen 91 Jahre alte Schriftsteller hat eine wilde Sammlung mit kurzen Gedichten, Aphorismen und Prosatexten veröffentlicht. Oft geht es darin um Tod und Sterben. Doch das vermeintliche Vermächtnis hat Schwächen.

 ARCHIV - 16.12.2015, Baden-Württemberg, Nußdorf Am Bodensee: Der Schriftsteller Martin Walser sitzt während eines Interviews in seinem Büro auf dem Sofa. Martin Walser ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart - und einer der produktivsten. Mit "Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung" erscheint eine Art poetische Lebensbilanz. (zu dpa "Verzweifelt schön: Martin Walsers «Spätdienst» vom 18.11.2018) Foto: Felix Kästle/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - 16.12.2015, Baden-Württemberg, Nußdorf Am Bodensee: Der Schriftsteller Martin Walser sitzt während eines Interviews in seinem Büro auf dem Sofa. Martin Walser ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart - und einer der produktivsten. Mit "Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung" erscheint eine Art poetische Lebensbilanz. (zu dpa "Verzweifelt schön: Martin Walsers «Spätdienst» vom 18.11.2018) Foto: Felix Kästle/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Felix Kästle

Der Spätdienst kommt kurz vor Feierabend. Wenn es draußen schon dunkel und die Hauptarbeit bereits getan ist. Zum „Spätdienst“ fühlt sich auch Martin Walser berufen mit seinem neuen Buch, das kein Roman ist und auch keine Geschichte erzählt, bis auf die seines Autors. „Spätdienst“ ist eine ziemlich wilde Ansammlung von Lyrik, von Aphorismen und Prosaschnipseln. So ein bisschen kann man sich erinnert fühlen an Schopenhauers „Aphorismen zur Lebensweisheit“, aber eben nur ein bisschen, weil Walser vor allem Walser ist.

In seinen vielen, vielen Büchern hat er uns zumeist in literarischer Verwandlung an seinem Leben und seinen Gedanken teilhaben lassen, an Liebe und Vorlieben, seinen Meinungen und tiefen Verletzungen. Und jetzt also auch an seinem Alter, am Alt- und immer Weniger-Werden. Das ist mit 91 Jahren zwar keine Überraschung, für Martin Walser aber offenbar schon. Eine Frechheit ist das Alter, eine Provokation.

Was also tun, wenn fast alle wichtigen Literaturpreise gewonnen und die großen Romane schon geschrieben sind? Walser beantwortet diese Frage mit inspirierendem Trotz: einfach immer weiterschreiben. Solange ich schreibe, bin ich, lautet sein Existenz-Motto.

Auf den hinteren Seiten des kunstvoll gestalteten Buchs – verziert mit Arabesken seiner Tochter Alissa –, ist einmal von dieser Notwendigkeit des Schreibens die Rede: „Das Notieren ist das provisorische Abdichten eines Lecks bei einem Schiff, das in einen unabsehbaren Sturm geraten ist. Ich trage ins Logbuch meinen Untergang ein ...“ Von Tod und Abschied ist oft die Rede, wenn er im „farbigen Tod“ versinkt oder konstatiert: „ich werde gewesen sein“. „Das Sterben hat jetzt angefangen“ und das Leben sich aus ihm zurückgezogen, schreibt Walser, der den Tod umkreist, als könne und wolle er mit Worten das Ende bannen. Nein, die Lebenszeit ist nicht anzuhalten und zum Schluss jedes Wort nur eine Verzweiflung mehr.

Bedrückend ist dieses Buch dennoch nicht, weil Walser ein viel zu guter Autor und erst recht großer Aphoristiker ist. Seine drei „Meßmer“-Bücher sind lesenswerte Zeugnisse dieser heutzutage seltenen Kunst.

Der „Spätdienst“ vermag an die Arbeiten früherer Jahre aber nicht heranzureichen – obgleich jetzt schon von einem Vermächtnis geraunt wird, ein bisschen pietätlos gar von „Requiem“. Und der Klappentext des Buches tut ein Übriges und posaunt heraus, dass wir mit dem Werk nun „die Summe, ja das Resultat der Poetik Martin Walsers“ vor uns haben.

Das ist dem Marketing geschuldet, nicht der Qualität des Buches. Weil einfach viel zu viele Verse das Lektorat passierten, die eigentlich nicht ins Buch kommen durften. Banalitäten mitunter, die man halt so schreibt und die im Augenblick ihre Berechtigung haben – nicht aber für ein solches Buch. Ist also auch das als „Bekenntnis“ zu verstehen, wie es im Untertitel heißt: „Was kosten deine Schuhe, wer macht sie, was hat er davon und der, der sie verkauft? Nicht barfuß gehen sollst du, sondern fragen in der Fabrik.“ Und davon gibt es etliche Versuche vergleichbarer Art.

Dass der „Spätdienst“ kein Vor- und kein Nachwort hat, sondern einfach nur mit einer großen Existenz-Utopie beginnt – „noch nicht gewesen sein möchte ich“ – mag ein bisschen anarchisch und vor allem inspirierend sein. Dass es aber keine editorische Notiz darüber gibt, über welchen Zeitraum hinweg die Texte entstanden sind, ist ärgerlich. Zumal einige Texte ein beträchtliches Alter haben müssen und Walser sich darin über Menschen mokiert (zumeist natürlich Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki), die vor einigen Jahren gestorben sind.

Warum überhaupt solche Beschimpfungen noch nachgereicht werden müssen, bleibt gleichfalls schleierhaft. Den früheren Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirmmacher, der 2014 plötzlich im Alter von 54 Jahren gestorben ist, einen „Bubi als Machtverwalter“ zu bezeichnen, zeugt zwar von anhaltendem Zorn, nicht aber von angemessener Feinfühligkeit.

Das Buch bleibt dennoch lesenswert. dafür ist Walser zu gut und mehr als immer nur der Paulskirchen-Redner. Es finden sich immer noch genug Perlen auf den 200 Seiten. Wie: „Nicht mehr wissen wollen von sich macht sofort unsterblich.“ Oder auch: „Immer öfter verjährt was, / ich schulde Liebe, schulde Hass, / ich bleibe hinter dem Leben zurück / und züchte Reime auf Glück“.

In Martin Walser arbeitet es noch eifrig, rumort es. Das hat er jetzt auch bei der Buchpremiere in Stuttgart gezeigt, bei der er die Schönheit Angela Merkels rühmte, da „sie nie etwas sagt, was sie schon vorher gewusst hat“. So etwas liebt Walser. Und so etwas treibt und stachelt ihn an.

Martin Walser ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Autoren. Darum wird man ihn nach diesem Buch auch mit 91 Jahren noch nicht aus dem selbst verordneten Spätdienst entlassen dürfen.

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