Düsseldorf Martin Schläpfer überrascht

Düsseldorf · 20 Jahre nachdem er seine Karriere als Tänzer beendet hat, kehrt der Direktor des Balletts am Rhein zurück auf die Bühne und tanzt in "b.12" zusammen mit seiner Primaballerina. Ein großer Moment an einem kontrastreichen Abend.

Da steht er auf der Bühne im rustikalen Hemd, Hände in den Hosentaschen, Schalk im Gesicht, wie ein junger Bursche vom Land und lässt sich umgarnen. Marlúcia do Amaral lockt und scherzt, wackelt mit den Hüften, tänzelt heran, springt davon, um ihn aus der Reserve zu locken. Und dann tanzt Martin Schläpfer mit präzisen, schnellen, energiegeladenen Bewegungen. Er lässt sich ein auf das Spiel der Frau, stellt ihr nach, stützt sie. Der Ballettdirektor und seine Primaballerina werden ein Paar – in wunderbar weisen, witzigen Figuren, die von der Symbiose zwischen Liebenden erzählen, doch auch von Distanz, Ablehnung, Trennung. Es ist eine Freude, Martin Schläpfer als Tänzer zu begegnen. Auf einmal spricht er nicht mehr nur als Choreograf durch seine Bilder zum Publikum, sondern ganz direkt, ungeschützt. Und das hat nichts Eitles, Auftrumpfendes, sondern eine tiefe, erschütternde Ehrlichkeit. Es ist ein Geschenk.

Auch fügt sich dieser Auftritt glücklich in die gesamte Arbeit Schläpfers für das Ballett am Rhein, denn choreografiert hat die neckisch-tragischen Szenen einer Liebe der große Niederländer Hans van Manen. 1996 entwarf er "The Old Man and Me" für zwei herausragende, ältere Tänzer des Nederlands Dance Theater III. Nun bot er Schläpfer an, die Arbeit zu übernehmen, und so ist sie jetzt Teil des hiesigen Repertoires, ein Stück im Van-Manen-Schatz, den Schläpfer mit seiner Truppe anhäuft. Er wandelt doch auf denselben Pfaden wie der Niederländer, der in wenigen Tagen 80 Jahre alt wird und bei der Premiere in Düsseldorf vom Publikum gefeiert wurde. Auch Schläpfer ist ein Meister der kleinen Form, wie er in "b.12" mit seiner Choreografie "Lontano" beweist. Zu einem dräuenden Klangblock, den die Musik von György Ligeti in den Raum stellt, entwickelt Schläpfer raffinierte Trio-Figuren, die Elemente des klassischen Tanzes neu arrangieren, dehnen, unter Spannung stellen – bis an die Schmerzgrenze. Oft ergeben sich die Bilder im Profil, als habe Schläpfer wie ein Biologe Schnitte gemacht, dem klassischen Tanz Gewebeproben entnommen, die er unter dem Mikroskop nun neu betrachtet. Obwohl Schläpfer für diese hochkonzentrierte, komprimierte Arbeit auch mit Spitzenschuhen tanzen lässt, ist seine Choreografie radikal modern. Sie unterzieht die traditionellen Ausdrucksformen einer Belastungsprobe, und wo sie reißen, brüchig werden, lässt er das Neue entstehen. Anders als in der Musik wirkt das nicht zerstörerisch, nicht apokalyptisch, sondern nur wie die notwendige Vorwärtsbewegung in eine neue Zeit.

Geschaffen hat Schläpfer diese Arbeit 2009 für das Niederländische Nationalballett Amsterdam als Gegenstück zu George Balanchines "Agon". Erst jetzt, bei "b.12", sind diese Stücke aber tatsächlich nacheinander zu erleben als radikaler Kontrast. Der große Erneuerer Balanchine (1804 – 1883), der in den 30er Jahren zu Musik von Strawinsky richtungweisende Ballette schuf, entwarf mit "Agon" ein fein verzahntes Bewegungsgebilde, sprühend in seiner Lebendigkeit, brillant in der Kombinatorik der Figuren. Hat man bei Schläpfer das Gefühl, einem Spannungsexperiment beizuwohnen, das sich aus immer neuen Impulsen aufbaut, so ist es bei Balanchine, als schaue man in ein lichtes Gebäude, ein goldenes Räderwerk. Sehr viel bewegt sich darin, und doch wirkt das nie verwirrend, sondern geradezu klassisch in seiner Wohlgeordnetheit.

"b.12" ist ein Abend der Kontraste. Begonnen hatte er ganz leicht mit der Uraufführung "Inside". Diesen Auftakt hat Schläpfer einem seiner Tänzer anvertraut: Antoine Jully. Der gehört seit 2005 zu Schläpfers Ensemble, zeigte nun aber in seiner ersten Arbeit für Düsseldorf, dass er ein talentierter Choreograf ist, der dazu noch gewitzte Kostüme und Bühnenbilder mit verspielten Videoprojektionen entwerfen kann. Zu jazziger Musik des Tschechen Jan Novak, schön lässig gespielt von den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Dante Anzolini, unternimmt Jully das Experiment, mit Tänzern zu malen. Anfangs wörtlich, indem ein Tänzer seine Partnerin in die Luft schwingt, dann mit ihren Beinen malt, als wären sie Pinsel. Bald wird es abstrakter: Jully mischt die Tänzer wie Farben oder lässt sie mit bunten Pixel-Pezzibällen turnen. Vor allem für solche Ensemble-Passagen beweist Jully großes Gespür. Dazu zitiert er munter Showtanz-Elemente, lässt die Tänzer mal clownesk über die Bühne trippeln, mal streift er lustvoll den Kitsch, wenn er in den Videoprojektionen Herz-Luftballons aufsteigen lässt. Das alles fügt sich zu einer heiteren, schwungvollen, ironischen Erzählung, wirkt allerdings ein wenig gewollt in seinem Spiel mit bonbonsüßen Bildern. Fast hat Jully zu viele Einfälle im Kopf, die auf einen Schlag auf die Bühne sollen. Doch er wird weiter Gelegenheit bekommen, seinen Ideenvorrat abzubauen. Auch in der nächsten Spielzeit will Schläpfer ihm eine Arbeit anvertrauen. Der vielversprechende Auftakt macht neugierig.

(RP)
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