Theater Marionetten des Systems

Düsseldorf · Am Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert Tilmann Köhler Ibsens "Stützen der Gesellschaft" und zeigt, wie Gier und Machthunger einen Werftbesitzer in Lügen und Selbstbetrug treiben. Bis Menschenleben in Gefahr geraten.

Konsul Bernick muss noch telefonieren. Dringend. Wichtige Geschäfte. Die Stöpsel aus seinem Handy im Ohr eilt er auf die Bühne, eine quadratische Fläche, die sich im Kreise dreht wie ein Plattenteller. Alles ist ständig in Bewegung, die Wirtschaft muss schließlich am Laufen gehalten werden; dass alle um sich selbst kreisen, fällt gar nicht auf. Und Christian Erdmann ist einer dieser agilen Typen, die das Spiel verstanden haben, die mitlaufen im Hamsterrad und zugreifen, wenn sich Chancen bieten. Auch wenn nicht alles legal läuft. Sie haben schließlich Verantwortung für ihre Familie, ihre Angestellten, die Gesellschaft. Sie sind die Wohlstandsbeschaffer, das rechtfertigt viel - in ihren Augen.

Mitten in der fortschrittstrunkenen Industriellen Revolution veröffentlichte der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen 1877 sein Gesellschaftsdrama "Stützen der Gesellschaft". Darin führt er vor, wie die Logik des entfesselten Kapitalismus Menschen korrumpiert. Und wie geschickt sie darin sind, das vor der Welt und sich selbst zu verbergen.

Tilmann Köhler inszeniert das am Düsseldorfer Schauspielhaus als ort- und zeitloses Lehrstück über die Mechanismen des Selbstbetrugs. Sein Hauptdarsteller ist ein Werftmanager, kein Patriarch, der die Sünden seiner Jugend erfolgreich vertuscht und die Rolle des örtlichen Vorzeigeunternehmers willig angenommen hat. Nur gelegentlich drängen seine verdrängten Aggressionen an die Oberfläche, wenn Bernick etwa seine Frau, die er nur aus Kalkül heiratete, an den Haaren zerrt oder den Sohn straft, weil der nur eines will, fort aus dieser Familie.

Das Paargerangel wirkt manchmal etwas übermotiviert, doch Erdmann spielt den erfolgreichen Egomanen wohldosiert, ist keine Managerkarikatur, sondern ein moderner Widersprüchlicher, der sich in seiner Rolle gefällt und zugleich an ihr leidet. Köhler findet teils starke Bilder für die gesellschaftlichen Zwänge, die Ibsens Figuren zu Marionetten machen. Etwa, wenn sich Bernick vor Auslaufen eines seiner Schiffe einen Kleiderbügel in seinen Anzug schiebt und sich darin an die Schiffsketten hängt, als wolle er sich erdrosseln. Da baumelt dann der Anzugträger, die soziale Rolle, hinter der der Mensch verschwunden ist. Weniger originell ist die Idee, das Bühnenbild mit einem Haufen Stühle zu bestücken, die Szene um Szene neu arrangiert werden müssen und so auch das Ensemble hübsch in Bewegung halten.

Die Gesellschaft um Konsul Bernick besteht aus lauter Angepassten. Judith Bohle etwa lächelt als Bernicks Frau Betty jeden Angriff ihres Mannes einfach weg. Alexej Lochmann macht aus Bettys Bruder, der sich in der Rolle des kränklichen Familien-Parasiten eingenistet hat, eine komische Figur. Und Steffen Lehmitz spielt mit Indianerfedern und Plastikpistole ausgestattet eine ziemlich kindliche Variante von Bernicks Sohn. Erst als plötzlich die verdrängte Verwandtschaft aus Amerika anreist, gerät die eingespielte Ordnung in Gefahr. Köhler lässt sie als wandelnde US-Klischees an Land gehen. Und so gibt Yohanna Schwertfeger schlicht das Flintenweib Lona im Cowboy-Schuh, während Florian Lange mit Pepsi-Büchse auf dem Stuhlberg herumlümmelt. Die Rolle der Frauen bei Ibsen, die hellsichtiger die Zwänge des Systems durchschauen und von den Männern Ehrlichkeit, vor allem sich selbst gegenüber, einfordern, interessiert da weniger. Lona ist keine raffinierte Psychologin, sie bleibt der herbe Racheengel.

Doch scheint es Köhler ohnehin weniger um die Figurenzeichnung zu gehen als mehr um die Dynamik des Stücks. Mit den offenen Umbauten, dem ständigen Kreisen der Bühne hält er seine Inszenierung im Fluss, gibt ihr jene rotierende Selbstbezüglichkeit, die für ein System steht, das Wachstum will, mit Profiten lockt und die belohnt, die sich geschmeidig und ohne große Skrupel fügen. Erst als sich die Dinge zuspitzen, Wahrheiten zutage treten, Konsul Bernick unter existenziellen Druck gerät und offenbart, wie weit er geht, um die eigene Haut zu retten, hält Köhler die Rotation an und räumt alles ab, was die Welt der Bernicks bedeutet hatte. Zum Finale will er die ganz großen Theaterbilder, schickt seinen Hauptdarsteller wie einen Gekreuzigten auf einen reumütigen Höhenflug, dass die Funken fliegen. Und macht aus dem entflohenen Sohn den rächenden Rebellen.

Das wirkt etwas brachial und lässt wenig Raum für den feinen Sarkasmus, mit dem Ibsen seine Figuren in die finale Läuterung schickt. Doch hat man zuvor viel Gelegenheit, einen Menschen zu studieren, der sich eigene Wahrheiten zurechtlegt, um seinen Status zu wahren. Einen Menschen von heute.

(dok)
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