Manfred Lütz zum 95. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. „Er wollte immer Professor sein“

Interview | Rom · Er zählt zu den wichtigsten Theologen der katholischen Kirche. Er wurde Papst und trat acht Jahre nach seiner Wahl wieder vom Amt zurück: Benedikt XVI., der am 16. April seinen 95. Geburtstag feiert.

Das ist Papst Benedikt XVI.
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Aus dem Leben von Papst Benedikt XVI.

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Foto: ARTURO MARI / dpa

Herr Lütz, sind wir ungerecht, wenn der emeritierte Papst Benedikt XVI. vor allem in jüngster Zeit scharf kritisiert wird – auch wegen seiner Falschaussage und seiner Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten?

Lütz Was meinen Sie mit „wir“?

Die Öffentlichkeit.

Lütz Da gibt es ja durchaus unterschiedliche Stimmen. Aber wenn Theologieprofessoren eine Minute nach der Münchner Pressekonferenz, zu einem Zeitpunkt also, wo sie noch keinen einzigen Satz des Gutachtens gelesen haben können, das Lebenswerk von Ratzinger nunmehr für vernichtet erklären, dann ist das wohl eher auf die „sprungbereite Feindseligkeit“ zurückzuführen, die er schon früher beklagt hat. Das ist einfach nicht gerecht. In Wirklichkeit war ja das Erstaunliche des Gutachtens, dass man trotz akribischer Suche keinen einzigen handfesten Beweis dafür gefunden hatte, dass er von den kritisierten vier Fällen überhaupt gewusst hat. Weil das so war, hat man stattdessen die Frage, ob er bei einer Ordinariatssitzung am 15.1.1980 anwesend war oder nicht zum Skandal hochgejazzt, obwohl in dieser Sitzung laut Protokoll Missbrauch überhaupt kein Thema war. Man kann Ratzinger ja kritisieren, auch ich tue das, aber das fand ich unseriös.

Seine anschließende Entschuldigung und seine Erklärungen zum Missbrauchstäter zeugten indes von wenig Sensibilität und Einsehen.

Lütz Sie haben recht, dass die Antworten auf die Gutachterfragen ganz unangemessen waren. Als ich aber die 50 Seiten juristisch formulierter Fragen gelesen habe, die eine Mischung aus Suggestivfragen, Anklageschrift und Moralpredigt sind, konnte ich gut verstehen, dass Benedikt sich für die Antworten juristischen Beistand geholt hat, das hätte jeder gemacht. Dass diese juristisch korrekten Texte dann als seine Antworten eins zu eins veröffentlicht wurden, war sicher ein Fehler.

Sie haben 2003 auf Wunsch von Kardinal Ratzinger einen Missbrauchskongress im Vatikan organisiert…

Lütz Ich hatte ihn schon 1999 bei einer Geheimtagung der Spitzen der Kurie als den einzigen erlebt, der nachdrücklich gegen Missbrauch vorgehen wollte. 2002 beauftragte er mich, einen Kongress mit den international führenden Experten im Vatikan zu diesem Thema zu organisieren. Es gibt wohl keinen Menschen, der in der weltweiten katholischen Kirche mehr gegen Missbrauch unternommen hat als Joseph Ratzinger. Und das war für ihn vor allem deswegen schwer, weil er eigentlich nie Interesse an Macht gehabt hat, er hat nie Strippen gezogen, verfügte an der Kurie über keine Netzwerke. Ihn als machtvollen „Panzerkardinal“ zu karikieren, ist völlig absurd.

War dann das mit so viel Macht ausgestattete Papstamt das exakt falsche, das er wählen konnte?

Lütz Er hat es ja nicht gewählt, man hat ihn überredet. Selbst seine heftigsten Gegner haben nie behauptet, dass er Papst werden wollte. Er wollte schon nicht Erzbischof von München und Freising werden, hat sich lange dagegen gewehrt, das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation zu übernehmen. Er wollte immer Professor sein, Menschen den Glauben, die Theologie nahebringen – und das ist er im Grunde seines Herzens bis heute geblieben.

Wie erklären Sie sich den Wandel des jungen Konzilstheologen Joseph Ratzinger - noch an der Seite des rebellischen Hans Küng - zum strengen Präfekten der Glaubenskongregation?

Lütz Der moderne junge Theologe Ratzinger hatte viel mehr Einfluss auf das II. Vatikanische Konzil als Hans Küng. Als der Kölner Kardinal Frings, den Papst Johannes XXIII. in die Vorbereitungskommission berufen hatte, einen Vortrag in Genua hielt und anschließend nach Rom fuhr, empfing ihn Papst Johannes XXIII. mit den begeisterten Worten: Ich habe heute Nacht ihren Vortrag in Genua gelesen, das ist genau das, was ich mir vom Konzil erwartete! Darauf Frings: Der Vortrag ist gar nicht von mir, der ist von einem jungen Theologen namens Joseph Ratzinger.

Dennoch hat er später sich zu einem eher konservativ denkenden und in diesem Sinne auch rigoros handelnden Theologen entwickelt. Waren dafür auch seine Erfahrungen mit der Studentenbewegung von 1968 verantwortlich?

Lütz Das ist ein Mythos. In Wahrheit war und ist er ein brillanter moderner Theologe. Es ging ihm immer um einen intelligenten Dialog mit der Moderne, aber einen wirklichen Dialog, der nicht bloß die Moderne theologisch paraphrasiert, sondern durch verständige intellektuelle Kontroversen hindurch den kostbaren Schatz des Glaubens heutigen Menschen vermittelt. Seine großartige „Einführung in das Christentum“ ist ein internationaler Bestseller geworden, lesenswert auch für Atheisten, die wissen wollen, aus welchen Quellen das christliche Abendland entstanden ist. Außerhalb missgünstiger Theologenkreise fand das durchaus Beachtung. Kein Wunder, dass Jürgen Habermas gerade mit Ratzinger eine öffentliche Debatte führte. 1968 war kein Bruch, freilich sah er in der Gewalttätigkeit der 68-er ein Problem, das auch zu einer gewissen intellektuellen Armut führte, die ihn wohl eher abschreckte.

Hat Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt 2013 das Amt verändert; oder zumindest unseren Blick auf dieses alte, hohe Amt?

 Benedikt XVI. gleich nach seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005.

Benedikt XVI. gleich nach seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005.

Foto: ARTURO MARI / dpa

Lütz Das ist sicher so und das haben ihm manche eher Konservative, wie zum Beispiel Kardinal Meisner, verübelt. Joseph Ratzinger war immer gegen eine Überhöhung des Papstamts und dieser Rücktritt entsprach der heiteren, nüchternen Bescheidenheit, die er im persönlichen Gespräch ausstrahlt. Der Arzt hatte ihm gesagt, er könne jetzt nicht mehr nach Brasilien fliegen. Deswegen musste ein anderer Papst 2013 zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro fliegen.

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