Düsseldorf "Lohengrin" als albernes Psycho-Drama

Düsseldorf · In der Regie von Sabine Hartmannshenn und unter der musikalischen Leitung von Axel Kober gab es Wagners Oper vom Schwanenritter im Düsseldorfer Haus der Rheinoper. Die Inszenierung spielt in der modernen Bankenwelt.

Zu den Lieblingsspielereien von Opernregisseuren zählt es, den Figuren auf der Bühne emotionale und sexuelle Vorlieben zu verordnen, die in der Partitur mit keiner Zeile, keiner Note vorgesehen sind. Mozarts Tamino, der in Wahrheit auf die Königin der Nacht scharf ist? Mussorgskys Boris, der sich nachts die Unterröcke seiner Amme anzieht? Puccinis Mimi, die heimlich ihren greisen Vermieter anschmachtet? Bizets Carmen, die ohne Stierhorn nicht einschlafen kann? Alles schon erlebt, in lauten wie in leisen Varianten.

Eine reiche Ausbeute dieser Technik der Horizont-Erweiterung – oder sagen wir besser: Tatsachenverdrehung – erlebt das Publikum der Düsseldorfer Rheinoper nun in "Lohengrin". Elsa, die mutmaßliche Mörderin, ist psychisch krank geworden und muss von Pflegekräften betreut werden. Das Ufer der Schelde ist der Eingangshalle eines internationalen Konzerns gewichen. Telramund vergöttert die Schuhe seiner Gattin und bekommt nach dem Gottesgericht die Papiere und eine steuerfreie Abfindung im Koffer. Seinen Platz nimmt – Jeans und Sneakers aus, Anzug an – Lohengrin ein, der keinem Gral, sondern der Occupy-Bewegung entstammt und jetzt das Unternehmen retten soll.

Natürlich zieht er bald von dannen, denn Elsa steht (Zungenkuss!) auf Ortrud, die aber einzig auf die Macht steht und am Ende mit König Heinrich, einem korpulenten Herrn mit Zweireiher und Einstecktuch, eine erotische Liebschaft beginnt. Kein Schwan, kein Schwert, keine Taube, kein Bötchen, keine Wiederkehr Gottfrieds, keine Erlösung.

Und leider überhaupt keinerlei Faszination. Lange nicht hat man an der Rheinoper ein so hässliches, unbeholfenes Bühnenbild wie dasjenige von Dieter Richter gesehen. Keine Firma von Welt leistet sich ein so mittelmäßiges Entrée mit Marmor-Imitation, architektonisch billigen Galerieumgängen und einer deprimierend langweiligen Treppe in der Mitte. Die lindgrünen Kleider der Brautjungfern (Kostüme: Susana Mendoza) sind eine optische Zumutung. Leider ist man genötigt, diese Kulisse dauernd anzustarren, denn bei geschlossenen Augen könnte einem der nächste Unfug entgehen. Regisseurin Sabine Hartmannshenn verdreht diesen "Lohengrin" jedenfalls so vollständig zu einem neuen Stück, dass man sich fragt, warum sie ihn nicht gleich neu komponieren lässt.

Es mangelt zudem an Genauigkeit der Personenführung und an choreografischer Phantasie für den Chor (besonders dümmlich: die Gralserzählung als Bergpredigt, da lauter Anzugträger zu den Füßen des Ritters, der keiner ist, lagern). Nur im dritten Akt ist handwerkliche Kernkompetenz zu ahnen. Der Rest ist Interessantmacherei, die jenes schöpferische Musiktheater verdrängt, das ein Werk zwar in eine andere Zeit und gern auch in die Moderne verlegt (um dessen Transfer-Tauglichkeit und Überzeitlichkeit zu beweisen), aber die elementare Motivation der Figuren wahrt. Hartmannshenn liest irgendetwas in die Texte hinein, was nicht drinsteht, und befragt es so lange, bis die gläserne Kugel ihrer Orakelei neue Konstellationen, neue Gefühle, neue Spielorte souffliert. Das Ergebnis sieht aus wie an den Federn eines Schwans herbeigezogen.

Das szenische Desaster überträgt sich auf die musikalische Seite des Abends gottlob nicht. Manuela Uhl als Elsa gelingt das Kunststück, ihre Stimme vor aller Vereinnahmung durch die Regie zu bewahren – sie singt leicht, leuchtend und mädchenhaft, ohne jene Hysterie, die sie hier im Blick und in der Mimik haben soll. Ihr Sopran strahlt, aber er lasert sich nicht durch die Partitur, er wendet keine Gewalt an. Das ist umso beeindruckender, als man die Sänger streckenweise kaum versteht. Generalmusikdirektor Axel Kober lässt aus dem Graben der Düsseldorfer Symphoniker oft eine unziemliche Lautstärke zu, als solle das metallische Glänzen des Blechs das Fehlen von Ritterrüstungen auf der Bühne kompensieren.

Obwohl das Orchester mit Einzelleistungen und ansprechender Geschlossenheit gefällt, mangelt es an der Delikatesse des Pianos, an Klangfarben, an Nuancen; das gilt auch für den Chor. Schon im Vorspiel kommt es am Azurhimmel des schönsten A-Dur-Zaubers der Musikgeschichte zu einem Gerumpel der Wolken, das nun wirklich nicht sein muss.

Apropos A-Dur: Roberto Saccà gibt nicht erst in seinem "In fernem Land" einen noblen, höhenklaren, ungefährdeten Lohengrin und beweist abermals, dass man als Lohengrin wenn schon nicht aus dem Gral, doch immerhin von Puccini kommen kann; Saccà bietet eine Italianatà, die Wagner gut verträgt. Hans-Peter König als König Heinrich versöhnt uns mit seinem expansiven Bass. Simon Neal mit einem charaktervollen Telramund. Nur Susan Maclean als Ortrud schert mit ihrer desolaten Höhe aus dem Verbund der stimmlichen Wohltaten aus. – Nicht sonderlich aussagekräftiger Beifall.

(RP)
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