Literaturtage in Köln Politik und Moral auf der lit.Cologne

Köln · Richard David Precht und Michel Friedman philosophierten mit Svenja Flaßpöhler über Moral, über Waffenlieferungen und über Klimaschutz. Dabei fehlte bei der Themenvielfalt aber der rote Faden.

Philosoph Richard David Precht sprach bei der lit.Cologne.

Philosoph Richard David Precht sprach bei der lit.Cologne.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Für eine der ersten Debatten der 23. lit.Cologne hatte man im Kölner Sartory gleich den großen Karnevals-Saal angemietet. Mit Recht, wie sich bei dem riesigen Andrang herausstellte. Über die Frage „Wie viel Moral vertragen Politik und Gesellschaft?“ traten Svenja Flaßpöhler, Michel Friedman und Richard David Precht aufs Podium. Moderiert wurde der Abend von der Journalistin Stephanie Rohde.

Schnell ging es um derart viel Grundsätzliches, dass man nur mit Mühe den Überblick behielt. Michel Friedman gab den soignierten Senior-Gelehrten und machte klar: „Auch dieses Gespräch soll keine Antworten bieten.“ Richard David Precht stimmte ihm zu, steuerte aber zumindest eine Reihe von Merksätzen zum Mitschreiben bei. Dominiert wurde die Runde jedoch von Svenja Flaßpöhler. Die Chefredakteurin des „Philosophie-Magazins“, zugleich auch eine der Leiterinnen der „phil.Cologne“, gehörte im letzten Jahr zu den 28 Erstunterzeichnern eines offenen Briefs an Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprach.

Für Flaßpöhler sind die Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg zwar moralisch aufgeladene Themen, die aber gleichzeitig von großem Unwissen geprägt sind. Mangelndes Wissen, so lautete ihre These, habe indes die Leute noch nie davon abgehalten, sich mit ihrem rigorosen Urteil einzumischen. Hierzu gab es den ersten Merksatz von Precht: „Wer die Welt moralisch betrachtet, teilt sie in zwei Hälften ein: was er achtet und was er ächtet.“ Der Philosoph beklagte im gesellschaftlichen Diskurs eine „gesinnungsethische Überanstrengung“. Vor allem in der Gender-Debatte um die von einer Minderheit erzwungene Veränderung der Sprache laute das Dogma: „Alles muss sofort geschehen.“

Insgesamt litt das lebhafte Gespräch unter einer ständigen Themen-Verzweigung, bis hin zu den Kapillaren um die Zusammenhänge von Tierwohl mit Klimaschutz. Dass hierbei das eigentlich nicht gewollte Moralisieren einen immer größeren Platz auf dem Podium beanspruchte, konnte kaum überraschen. Ständiges Gut-sein-müssen fiel halt allen schwer, seufzte Precht, „vor allem wenn die Poesie des Herzens auf die Prosa der Verhältnisse trifft. Jeder von uns schreitet permanent unter der Messlatte des Gutseins umher.“

Michel Friedman machte deutlich, dass ihm das Leben nach Jahrzehnten hitziger Streitereien beigebracht habe, vor allem bei grundsätzlichen Fragen auf Kompromisse zu setzen. Das gelte auch für die Trennung von Staat und Moral als zentrale Voraussetzung für moderne Verfassungen und individuelle Freiheiten. Svenja Flaßpöhler erinnerte schließlich an das Diktum von Heinrich Böll in seiner Rede als frisch gekürter Nobelpreisträger. Viele Jahre sei er als Schriftsteller und Staatsbürger auf dem Marsch "durch einen dichten Wald von Zeigefingern gegangen. Gar mancher Zeigefinger war scharf geladen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort