Start unser großen Serie Leben im Kloster

Seit Jahrhunderten entscheiden sich Menschen dafür, ihr Leben ganz in den Dienst Gottes zu stellen. Doch wie sieht es aus, das Leben hinter Klostermauern? In einer neuen Serie wollen wir davon erzählen.

 Benediktinerinnen der Abtei St. Hildegard im Rheingau beim Morgenlob in der Klosterkirche. Schwester Raphaela, 32, (Zweite v. r.) trägt den weißen Schleier der Novizin - sie hat die benediktinischen Gelübde noch nicht endgültig abgelegt.

Benediktinerinnen der Abtei St. Hildegard im Rheingau beim Morgenlob in der Klosterkirche. Schwester Raphaela, 32, (Zweite v. r.) trägt den weißen Schleier der Novizin - sie hat die benediktinischen Gelübde noch nicht endgültig abgelegt.

Foto: RP Andreas Krebs

Es gibt nur noch wenige Orte in unserer Welt, die nicht erkundet sind, die ein Geheimnis bewahren, sich dem unbedarften Zugang verweigern. Klöster sind solche Orte. Seit Jahrhunderten ziehen sich Menschen dorthin zurück, um ein Leben in innerer Sammlung zu führen, in spiritueller Wachheit — ein Leben in Gott. Sie begrenzen ihren äußeren Raum, um den inneren zu weiten. Sie stellen ihren Lebensrhythmus ein auf die Zeiten des Gebets, schöpfen daraus Kraft für ihr Wirken in der Welt. Sie stehen mit dem Leben ein für das, woran sie glauben.

Etwa 440 Ordensgemeinschaften gibt es in Deutschland, 25 000 Menschen, die sich für ein Dasein in Keuschheit, Gehorsam und Armut entschieden haben, um Jesus nachzufolgen, um mit der gleichen Radikalität zu leben wie er. Eine entschiedene Minderheit. Wer es sich leicht macht, sieht in diesen Menschen Exoten, Unzeitgemäße, fromme Eigenbrötler. Tatsächlich trifft man in Klöstern auf weltzugewandte Menschen, die ihre profane Umgebung nicht aus dem Blick verloren haben. Sie betrachten sie nur aus der Distanz eines Lebens, das sich an anderen Maßstäben orientiert. Ein Leben in Gemeinschaft, Stetigkeit, beständiger Selbstbefragung.

Klöster sind Kraftzentren

Das verändert einen Menschen. Man begegnet bei vielen Ordensleuten einer Freundlichkeit, die außerhalb von Klostermauern verloren scheint. Eine Freundlichkeit, die nichts erreichen will, die nichts voraussetzt, die schlicht dem Mitmenschen gilt. Es ist eine Zugewandtheit, die wohltut. Natürlich haben auch Ordensleute Konflikte. Natürlich gibt es auch in Klöstern Machthierarchien, eitle, ehrgeizige, frustrierte, überforderte Brüder und Schwestern. Davon erzählen sie selbst.

Doch Klöster sind Kraftzentren, gebaut an den nie versiegenden Strom des Gebets unzähliger Generationen. Menschen im Kloster leben mit anderem Tiefgang, auch mit anderem Tempo. Auch unter Ordensleuten gibt es Stress und Burnout. Doch Innehalten ist Teil ihres Tagesablaufs. Regelmäßiges Beten entschleunigt, es entlarvt manche Belastung als Nichtigkeit — auch wenn das nicht das eigentliche Ziel ist. Darum zieht es wohl immer mehr Gäste auf Zeit in Klöster, in die Stille, in die Abwesenheit von Eile. Sie kommen dort zur Besinnung, üben Schweigen, begegnen den gültigen Geschichten der Bibel, nehmen an einem strikten Tagesrhythmus teil. Viele finden allein das heilsam.

Die moderne Welt jedoch begegnet klösterlichem Leben mit erstaunlicher Überheblichkeit und Misstrauen. Obwohl unser Lebensstil heute den Einzelnen wie die Natur erschöpft zurücklässt, wirft die skeptische Moderne Mönchen und Nonnen Eskapismus, Heuchelei, Selbstsüchtigkeit vor und hält ihre Keuschheit für verdächtig. Vielleicht ist dieser Argwohn Abwehr eines Lebensentwurfs, der unsere Zeit in Frage stellt.

Marx wird ausgerechnet im Kloster lebendig

Wer in einer Gesellschaft lebt, in der es um Konkurrenz, Erfolg und Selbstverwirklichung geht, ums Ich, der sieht im Ordensleben allzu leicht nur den Mangel. Keine körperliche Liebe, keine Familie, kein eigenes Haus — wie kann man das wollen können? Tatsächlich sind es Verheißungen, die Menschen ins Kloster ziehen. Dort können sie ihr Leben mit anderen Gläubigen teilen, das gemeinsame Ziel macht sie zur Familie — mit allen Schwierigkeiten. Sie bekommen Raum für Gebet und Meditation, leben in der Klarheit eines geregelten Tagesablaufs. Sie werden befreit vom Existenzkampf des modernen Lebens, müssen sich weder über die tägliche Mahlzeit noch die Rente Sorgen machen.

Das schenkt Freiheit. Das ermutigt, Talente zu entfalten. Ordensleute erzählen davon, wie sie im Kloster entdeckten, dass sie Ikonen malen können oder Fotografieren oder Gold schmieden. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen — die alte Vision von Karl Marx ist ausgerechnet im Kloster Wirklichkeit.

Und sie gilt bis ins hohe Alter. In den schrumpfenden Gemeinschaften werden auch ältere Brüder und Schwestern gefordert, sie trauen sich oft auch weit jenseits der 60 noch neue Aufgaben zu. Die Frage, was Gott mit ihnen vorhat, hält sie wach. Außerdem müssen sie keine Angst haben vor der größten Last des Alters: der Einsamkeit. An ihrem Sterbebett wird jemand sitzen. Vielleicht strahlen viele Ordensleute darum diese eigentümliche Gelassenheit aus, die nur haben kann, wer einen Willen Gottes unterstellt. Und sich in diesem Glauben nicht allein fühlt.

Mehr Mut zur Utopie

Leben im Orden kann höchst unterschiedlich ausfallen. Wir haben Klöster in Deutschland besucht, haben Ordensleute gesprochen, ihren Alltag miterlebt und erzählen davon in einer neuen Serie.

In den nächsten Tagen lesen Sie in unserer Serie "Leben im Kloster" Geschichten über Menschen wie Bruder Longinus, der als Soldat nach Afghanistan ging und beschloss, danach in die Benediktinerabtei Beuron einzutreten. Oder über Schwester Christophora, die in Keramiken ausdrückt, wie sie die Schriften der Heiligen Hildegard versteht. Wir erzählen von der Missionarin Paulana, die 46 Jahre in Indonesien gearbeitet hat und nun im Mutterhaus in Steyl ihren Lebensabend verbringt. Wir begegnen den Karmelitinnen von Dachau, die neben dem ehemaligen KZ ein Leben in Stille führen, um ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Wir besuchen das evangelische Kloster der Christusbruderschaft in Selbitz und den Jesuiten Christian Herwartz in Berlin, der Suchende bei Exerzitien zu Obdachlosen auf die Straße schickt.

Wir leben in einer Zeit, die sich nicht mehr traut, an Utopien zu glauben. In Ordensgemeinschaften ist das anders. Dort verwirklichen Menschen die Utopie eines Lebens in der Nachfolge Christi, bauen darauf, dass Liebe zu Gott und dem Nächsten die Wirklichkeit besser, das eigene Leben reicher macht und Beten keinen Zweck, aber einen Sinn hat.

Für eine Zeit, die auf Leistung und Individualismus baut, ist das eine Provokation. Man kann ihr ausweichen und Ordensleute für Exoten halten. Oder man versucht, hinter die Klostermauern zu blicken, etwas vom Leben dort zu erfahren, weil es Fragen stellt an unseren Lebenswandel. Menschen im Kloster stellen sich der ungeheuren Herausforderung der Ewigkeit. Für sie ist der Tod weder Bedrohung noch Kränkung, sondern Etappe auf ihrem Weg. Es ist tröstlich, solchen Menschen zu begegnen.

(RP/pst/csi)
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