"La Traviata" Tenor Rolando Villazón führt jetzt auch Regie

Der Mexikaner arbeitet an neuen Karrieren. Nun hat er in Baden-Baden bei "La Traviata" Regie geführt und ein Buch geschrieben.

Das Ziffernblatt einer Uhr liegt flach auf dem Bühnenboden des Festspielhauses Baden-Baden, die Zeiger zerfließen. Klar: Für Violetta Valéry, die schwindsüchtige Titelheldin von Giuseppe Verdis Oper "La Traviata", läuft die Zeit ab. Fans des Tenors Rolando Villazón aber dürften darin noch eine Anspielung auf eine andere Inszenierung der "Traviata" sehen, 2005 bei den Salzburger Festspielen. Auch dort stand ein Ziffernblatt im Zentrum, Anna Netrebko sang die Violetta, Villazón die Rolle ihres Liebhabers. Es war der bisher größte Triumph in der Karriere des mexikanischen Tenors.

Die Schatten danach fielen umso tiefer. Schon wenig später rutschte Villazón in eine Stimmkrise, musste sich mehrfach ganz von der Bühne verabschieden, sich schließlich sogar einer Stimmbandoperation unterziehen. Seine Karriere wurde plötzlich zum Menetekel, wie schnell der Klassikmarkt Karrieren zünden und wie schnell er sie damit auch verbrennen kann. Inzwischen singt Villazón wieder weltweit, den seidigen Schimmer der frühen Jahre aber hat die Stimme wohl unrettbar verloren.

Vielleicht aber macht das am Ende gar nicht so viel. Denn aus dem heute 43-Jährigen ist längst etwas anderes geworden als ein Tenor: eine Art Gesamtkunstwerk, ein Tausendsassa des Kulturbetriebs. Da gibt es zum Beispiel Rolando - wie er dann meistens genannt wird - als gesuchten Fernsehmoderator und als Zeichner lustiger Karikaturen, da gibt es Rolando als singenden Eisverkäufer in der "Sesamstraße" und in jüngster Zeit sogar als Romanautor. Selbst bei einem so quirligen Menschen wie ihm fragt man sich, wann er das eigentlich alles macht.

Bei den Pfingstfestspielen Baden-Baden konnte man jetzt den Opernregisseur Rolando erleben. Das ist eine relativ neue Seite, doch Villazón scheint sie aktuell umso konsequenter auszuleben. Allein im letzten halben Jahr inszenierte er Premieren auch an der Volksoper Wien und an der Deutschen Oper Berlin. In Baden-Baden hat ihm der vielgefragte Bühnenbildner Johannes Leiacker drei runde Scheiben auf die Bühne gelegt, neben dem Ziffernblatt zwei stilisierte Zirkusmanegen, in die die Sänger hineingestoßen werden wie die Tiere im Zirkus. Aber nicht sie sind hier die Clowns, sondern das Publikum, der im Hintergrund sitzende, manchmal auch die Manegen stürmende Chor, der sie lieben und vor allem sterben sehen will. Villazón inszeniert "La Traviata" als Fiebertraum der bereits todkranken Violetta, die sich und ihren Liebhaber Alfredo als einzige Menschen in einer Welt aus lauter Zombies halluziniert, aus Untoten aller Völker und Zeiten, eine Schreckensmasse von angepassten Individualisten. Einziger Lichtblick bleibt ein Double von Violetta, das sich in Gestalt einer Trapezkünstlerin hoch über die Köpfe der anderen erheben kann - und am Ende abstürzt.

Keine Frage: Villazón meint es ernst mit dem Inszenieren, auch künstlerisch. Er gehört nicht zu den Sängern, die den Ausflug hinter das Regiepult unternehmen, um sich selbst die Nostalgie konservativer Ausstattungsorgien zu gönnen. Auch wenn er in seine Wiener Inszenierung von Donizettis "Viva la Mamma" vor einigen Monaten die ziemlich lustige Parodie eines Regisseurs einbaute, der zwar keine Noten lesen kann, aber aufgrund eines Kindheitstraumas alle in Star-Wars-Kostüme stecken muss. Der Opernregisseur Rolando agiert zwar sängerfreundlich, kommt aber eindeutig aus der Tradition des Regietheaters. In Baden-Baden gelingen ihm damit einige beeindruckende Bilder. Aber es mangelt an dramaturgischer Durchführung der Grundidee, allzu rasch hat man sie verstanden.

Doch seltsamerweise vergisst man solche Einwände sofort wieder, wenn Rolando zum Applaus auf die Bühne stürmt, Kusshände ins Publikum wirft und sein halbes Ensemble umarmt. Wahrscheinlich ist die Begeisterungsfähigkeit überhaupt sein größtes Talent. Mit ihr steckt er nicht nur regelmäßig sein Publikum an, sondern auch die Macher im Kulturbetrieb. Besonders die Deutschen würden den Mexikaner, der rasant und charmant auch auf Deutsch zu plaudern versteht, wohl selbst dann noch ihren Lieblingstenor nennen, wenn er gar nicht mehr sänge. Er bleibt ein Sympathieträger, was auch immer er tut.

Kein Wunder also, dass der Clown so etwas wie ein Leitmotiv seiner künstlerischen Arbeit geworden ist. Clowns werden geliebt, auch wenn sie scheitern. Clowns sind meistens sympathisch, aber oft auch ein bisschen traurig. "Das Leben besteht aus Stolpern und wieder Aufstehen", hat Villazón vor ein paar Tagen einem Online-Magazin gesagt. Dass ihm das Aufstehen nicht immer leicht gefallen ist, konnte man im vergangenen Jahr auch seinem ersten Roman "Kunststücke" entnehmen.

Im Zentrum der stark autobiographisch wirkenden Handlung steht ein Clown, den es gleich doppelt gibt: als traurigen Alleinunterhalter, der mit seinen zwei besten, ebenso erfolglosen Clownsfreunden Kindergeburtstage bespaßt - und als berühmten und erfolgreichen Clown, als den sich der erste in einem fiktiven Tagebuch neu erfindet.

Doch auch der erfolgreiche Clown bekommt Probleme. Ein Bandscheibenvorfall beendet seine Karriere, während der traurige Clown immerhin Hilfe beim Psychologen findet. Aus der klassischen Psychoanalyse kommt auch das Spiel mit doppelten Ebenen und Traumszenen, das Villazón liebt und dass er nun auch in seiner Baden-Badener "Traviata" treibt. Dass er sich auch sonst für geistig Hochprozentiges interessiert, kann man ebenfalls dem Roman entnehmen: Ein Tenor, der problemlos Platon oder Blaise Pascal zitiert, ist wohl für das reine Tenordasein schon von Haus aus verloren.

Umso gespannter darf man sein, welches seiner vielen Talente Villazón demnächst weiterverfolgen wird. Seiner Homepage kann man entnehmen, dass er sich in den kommenden Monaten erstmal wieder aufs Singen konzentrieren wird. Auch dabei beweist er maximale Offenheit, wird zum Beispiel im Münchner Nationaltheater mit einer Uraufführung des tschechischen Komponisten Miroslav Srnka zu hören sein. Aber auch die großen klassischen Partien des italienischen und französischen Fachs singt Villazón wieder, nur dosierter, seltener als früher.

Ein Name aber ist seit den Jahren der Krise eine neue Konstante in seinem sängerischen Wirken geworden: Mozart. Wohl weil dessen Musik als perfekte Stimmpflege gilt, aber vielleicht auch, weil Villazón da etwas wiedererkennt. Schließlich ist Mozart der große Clown unter den Komponisten, man lese nur seine Briefe. Und in seiner Musik reißt die Melancholie oft plötzlich ein riesiges Loch mitten in den rasantesten Wirbel.

(RP)
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