"Eine kurze Geschichte der Menschheit" Kurzweilige Geschichte der Menschheit

Die Erfindung des Feuers machte die Energie frei für das Wachstum des Gehirns. Der Sapiens wurde der Herr der Welt.

Eine kurze Geschichte der Menschheit - geht das? Lassen sich 70.000 Jahre Homo sapiens in ein Buch mit gut 500 Seiten pressen? Yuval Noah Harari hat es ausprobiert. Herausgekommen ist zumindest eine sehr kurzweilige Geschichte der Menschheit. Das liegt nicht nur an der Lust des Autors, gelernte Erklärungsmodelle infrage zu stellen und ungewohnte Blickwinkel einzunehmen, um aufs Neue die Geschichte hinter der Geschichte zu entdecken.

Harari ist Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, aber eben kein trockener Akademiker, der Zahlen, Orte, Namen aneinanderreiht. Der 41-Jährige sprüht vielmehr vor Begeisterung, wenn er sich auf das stürzt, was unsere Gegenwart vollständig prägt und unser Bild von der Zukunft in weiten Teilen bestimmt: die Vergangenheit.

"Eine kurze Geschichte der Menschheit" wurde auch deshalb ein Bestseller, weil Harari bei seiner Schilderung der Entwicklung eines unbedeutenden Affen zum Herrscher der Welt rasant aus der Vogelperspektive in die Nahsicht und wieder zurück wechselt. Während sich Löwen oder Haie über Jahrmillionen an ihren Platz in der Nahrungskette hochgebissen hätten, schreibt der Autor, fand sich der Sapiens aufgrund seines rasch an Leistungsfähigkeit gewinnenden Gehirns quasi von einem auf den anderen Tag an deren Spitze wieder.

Viele Katastrophen der Menschheitsgeschichte lassen sich Hararis Ansicht nach durch diese überhastete Entwicklung erklären. "Die Menschheit ist kein Wolfsrudel, das durch einen unglücklichen Zufall Panzer und Atombomben in die Finger bekam. Die Menschheit ist vielmehr eine Schafherde, die dank einer Laune der Evolution lernte, Panzer und Atombomben zu bauen. Aber bewaffnete Schafe sind ungleich gefährlicher als bewaffnete Wölfe."

Warum aber war das menschliche Gehirn in der Lage, so zu wachsen? Harari lenkt den Blick auf Zusammenhänge, die auf der Hand liegen und trotzdem überraschen: Als die Menschen vor rund 300.000 Jahren das Feuer bändigten, hatten sie nicht nur Licht, Wärme und eine Waffe gegen Bestien. Sie konnten damit auch kochen - und das war das Beste daran: Gekochtes ist viel leichter verdaulich. Wer sein Essen kocht, braucht nicht so lange Därme. Darm und Gehirn kosten den Organismus am meisten Energie. Als der Mensch das Kochen erfand, stand für sein Gehirn erheblich mehr Energie zu Verfügung.

Zweifellos ist Sprache die herausragende Fähigkeit des Menschen - und doch nur das Werkzeug für etwas viel Bedeutsameres: das Vermögen, mit bloßen Worten eine Wirklichkeit zu erschaffen, an die Tausende, Hunderttausende, ja Millionen glauben. Der menschliche Zusammenhalt basiert auf solchen Mythen, auf künstlichen Wirklichkeiten - Religionen, Verfassungen, Nationen. Diese Mythen sind nicht nur der Schlüssel für die effektive Zusammenarbeit riesiger Gruppen, sondern auch für deren extreme Flexibilität.

Dieser Prozess begann vor 70.000 Jahren, als mit der kognitiven Revolution das erste Kapitel unserer Kulturgeschichte aufgeschlagen wurde. Die landwirtschaftliche Revolution vor 12.000 Jahren brachte einen gewaltigen Schub. Die wissenschaftliche Revolution, die vor 500 Jahren ihren Anfang nahm, könnte der Beginn von etwas völlig Neuem sein, schreibt Harari, der alle Epochen munter abarbeitet, aber natürlich auch den Bogen zum wohl revolutionärsten Projekt der Gegenwart schlägt: einer Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer.

Ja, auch die Zukunft spielt eine Rolle in Hararis Werk. Menschen könnten zu dem werden, was sie Jahrtausende nur Göttern zutrauten: zu Schöpfern und Designern nahezu perfekter Lebewesen. Und wenn es schon einen Film über das Dasein solcher Super-Kreaturen gäbe, den wir uns heute anschauen könnten, wäre das "ungefähr so, als würde man Hamlet vor einem Publikum von Neandertalern aufführen".

Man muss sich die zwischen den Zeilen aufblitzende Botschaft des Autors nicht zu eigen machen: Geschichte hat keinen Plan, und sie ist niemals gerecht. Doch mit einer Schlussfolgerung hat Harari wohl recht: "Von Kanus sind wir erst auf Galeeren, dann auf Dampfschiffe und schließlich auf Raumschiffe umgestiegen, doch wir wissen immer noch nicht, wohin die Reise gehen soll. Wir haben größere Macht als je zuvor, aber wir haben noch immer keine Ahnung, was wir mit ihr anfangen sollen."

Yuval Noah Harari : Eine kurze Geschichte der Menschheit. 2015, Pantheon-Verlag, 528 S., 14,99 Euro

(RP)
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