Kunst-Hotspot Gelsenkirchen Der Flügelschlag des Schmetterlings
Gelsenkirchen · Neben kinetischen Installationen beherbergt das Kunstmuseum Gelsenkirchen eine Gemälde-Sammlung namhafter Künstler, die jetzt neu geordnet worden ist.
Gerhard Richter, René Magritte, Paula Modersohn-Becker, Emil Nolde, Rebecca Horn – wer Werke dieser beeindruckenden Schar weltberühmter Künstler an einem Ort versammelt sehen möchte, der muss nach Gelsenkirchen fahren. Im Stadtteil Buer hat die Stadt vor 40 Jahren einen erstaunlichen Museumsneubau bekommen, der sich organisch und ohne rechte Winkel an die Alte Villa schmiegt. Das Kunstmuseum Gelsenkirchen nutzt das Jubiläum, um unter dem Motto „Das alles haben wir“ eine Neupräsentation der Sammlung zu zeigen. Und die ist wirklich gelungen.
Gerhard Richter, der Anfang der 1960er-Jahre kurz vor dem Mauerbau von der DDR nach Nordrhein-Westfalen floh, hat auch in Gelsenkirchen gearbeitet. 1966 erwarb die Stadt sein Gemälde „Korridor“, das wie viele zu dieser Zeit nach einer Fotografie entstanden ist und diese durch unscharfe beziehungsweise verwischte Stellen leicht ins Irreale verschiebt. Der Amtskorridor korrespondiert nicht nur mit René Magrittes daneben hängenden „Le Grande Siècle“, das ebenfalls eine Raumflucht zeigt: Über den Rücken eines Mannes mit Melone schauen wir auf ein herrschaftliches Haus – der Himmel besteht allerdings aus einer tief hängenden Zimmerdecke, was einen surrealen, engen, geschlossenen Eindruck vermittelt.
Richters Bild korrespondiert allerdings auch mit dem gesamten Museumsbau. Der erinnert vielleicht nicht unbedingt durch seine verschachtelte Architektur, die jeder selbst erlaufen und entdecken muss, aber doch durch seine vielen Treppen und schmalen Türen an Amtshäuser. So verbergen sich hinter unscheinbaren Türen auch die neuen Schatzkammern: die Gemäldegalerie in der Mitte und ein großer Raum mit Nachkriegsmoderne und Pop-Art im Obergeschoss, in dem sich auch ein erst mal unscheinbarer Christo findet.
Ein Herzstück der Gelsenkirchener Sammlung war immer die kinetische Kunst – Kunst also, die in Bewegung gerät. Das geschieht meistens durch einen Knopfdruck und eine elektro-mechanische Konstruktion. Einige Werke dürfen aber auch berührt und dadurch in Bewegung gesetzt werden. Früher war die kinetische Sammlung im Untergeschoss zu finden, ein bisschen versteckt und gedrungen. Heute ist sie prominent in den Hauptausstellungsräumen präsentiert.
Schon nach dem ersten Treppenaufgang auf dem Weg zur Gemäldegalerie kommt man am ersten Werk vorbei: Takis „Gruppe von Signalen“ (1968) – Lichtsignale, die an Teleskopstangen montiert sind. Museumsdirektorin Julia Höner, die für die gesamte Neupräsentation verantwortlich ist, hat sie vor einem Vorhang inszeniert wie eine Rockband auf einer Bühne, die per Bewegungssensor automatisch zu spielen anfängt, wenn jemand den Raum betritt.
Es gibt in der kinetischen Sammlung auch sehr fragile, aufwendig restaurierte Werke, die nur alle halbe Stunde oder in noch größeren Intervallen in Bewegung geraten dürfen. „Serafina’s Lover“ der erst kürzlich verstorbenen Rebecca Horn, das gerade als Leihgabe in Gelsenkirchen ist, um aktuelle Entwicklungen der kinetischen Kunst zu zeigen, löst sogar nur alle zwei Stunden aus. Es lohnt sich – so oder so – zu bleiben, um den Flügelschlag des filigranen mechanischen Schmetterlings zu beobachten.