"Der Sturm" im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal feiert die Avantgarde

Wuppertal · Vor 100 Jahren eröffnete Herwarth Walden in Berlin seine Galerie "Der Sturm". Mit ihrem Angebot von Kokoschka bis zu Chagall wurde sie ein vielbeachtetes Forum der Moderne in Deutschland. Zahlreiche Bilder, die die Galerie durchliefen, sind jetzt im Von-der-Heydt-Museum vereint.

"Der Sturm" im Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal
7 Bilder

"Der Sturm" im Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal

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Europas Avantgarden vom Beginn des 20. Jahrhunderts halten uns nach wie vor in Atem. Die Preise von Kunstwerken des "Blauen Reiters", des Futurismus, Kubismus und Konstruktivismus haben längst eine Höhe erreicht, die den meisten einen Erwerb unmöglich macht. Umso mehr fühlen sich Fälscher herausgefordert, die Nachfrage auf ihre Weise zu befriedigen. Als im Herbst vorigen Jahres in Köln der Prozess gegen Wolfgang Beltracchi begann, nannte die Staatsanwältin beim Verlesen der Anklageschrift mehrmals auch den Namen Herwarth Walden.

Irritierenderweise sprach sie ihn jedes Mal englisch aus. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Walden (1878—1941), der Berliner Kunsthändler, der den Malern Chagall und Kandinsky, Klee und Feininger, Campendonk und Delaunay den Weg in die Öffentlichkeit ebnete, ist immer noch nicht so bekannt, wie es seiner Bedeutung entspräche.

Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum will das nun ändern. Mit einer Ausstellung, die rund 200 hochrangige Leihgaben aus den großen Museen der Welt umfasst, rekonstruiert es das einstige Angebot von Waldens Berliner Galerie "Der Sturm". Einzelne Räume bilden mit Hilfe der in alle Himmelsrichtungen verstreuten, nun auf Zeit zusammengezogenen Originale die Ausstellungen von damals ab. Anlass ist, dass Walden vor 100 Jahren seine Arbeit in Berlin begann.

Die hat sogar einen Bezug zu Wuppertal, denn Walden war in erster Ehe mit der aus Elberfeld stammenden Schriftstellerin Else Lasker-Schüler verheiratet; ihr ist vermutlich auch der Name "Der Sturm" zu verdanken.

Herwarth Walden war damals so etwas wie der Kahnweiler Deutschlands; nur mit dem Unterschied, dass er anders als sein französischer Kollege und Konkurrent einen Künstler nicht im Angebot hatte: Picasso. Zu Waldens Spezialitäten zählten vor allem die Werke des "Blauen Reiters", die heutigen Publikumslieblinge Franz Marc und August Macke, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter.

Damit er seinen 1912 aufgenommenen Galeriebetrieb finanzieren konnte — schließlich erbrachten seine Künstler noch nicht die Summen, die ihre Werke heute auf Auktionen erzielen —, trat er 1915 in den Dienst der "Zentralstelle für Auslandsdienst" beim Auswärtigen Amt. Das verschaffte ihm zudem Beziehungen, die es ihm erlaubten, auch im Ausland tätig zu sein und sogar Künstler von der Front zurückzuholen. Andrea von Hülsen-Esch, Kunstprofessorin an der Heine-Universität Düsseldorf, hat mit ihren Studenten manches Neue zu Waldens Biografie zutage gefördert und damit zum Gelingen der Ausstellung beigetragen.

Beim Rundgang staunt man vor allem darüber, dass Hausherr Gerhard Finckh und seine Mitarbeiterin Antje Birthälmer wieder so hochrangige Leihgaben zusammengebracht haben, wie man es in diesem Museum nun schon gewohnt ist. Mehrere Kandinskys, teilweise aus dem Pariser Centre Pompidou, mehrere Marcs und Mackes verleihen der Ausstellung einen Rang, der über einen rein dokumentarischen Anspruch weit hinausgeht.

Allein schon Mackes "Zirkusszene" aus dem Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid lohnt den Besuch. Wie weit "Der Sturm" seiner Zeit voraus war, zeigt sich in der Abteilung Futurismus mit ihren Bildern unter anderem von Boccioni, Severini und Carrà, die von der Einführung des Prinzips Bewegung in die moderne Kunst zeugen.

Längst ist es ein Markenzeichen der Wuppertaler Ausstellungen, dass die großartigen Bilder in Erläuterungen auch ihren kulturhistorischen Hintergrund offenbaren, dass zudem Akzente gesetzt werden, die eine Brücke zur Gegenwart schlagen. In einem Saal geht es um die Künstlerinnen, die Walden oft an der Seite ihres Partners auftreten ließ: Gabriele Münter neben Kandinsky, Sonia Delaunay-Terk neben Robert Delaunay, Natalija Gontscharowa neben Michail Larionow. Eine andere Abteilung führt vor, wie "Der Sturm" in den 1920er Jahren zur Anlaufstelle für jene Künstler wurde, die aus osteuropäischen Ländern ausgewandert waren; der Ungar László Moholy-Nagy vor allem.

Wer an solchen Zusammenhängen nicht interessiert ist, kann die Schau auch als rein ästhetisches Ereignis genießen und von Höhepunkt zu Höhepunkt schreiten. Vom "Blauen Reiter" zu Henri Rousseaus Gemälde "Der fröhliche Spaßmacher" aus dem Philadelphia Museum of Art, von dort zu Chagalls "Fliegender Kutsche" aus dem New Yorker Guggenheim-Museum und weiter zu den Bildern jener kaum bekannten Emmy Klinker, die in einem kunstsinnigen Wuppertaler Elternhaus aufwuchs und auf Empfehlung des vom "Sturm" betreuten amerikanischen Malers Albert Bloch eine Schau bei Herwarth Walden bekam.

Selbstverständlich erzählt die Ausstellung dessen Schicksal bis zum bitteren Ende. Seit er sich von seiner zweiten Ehefrau, Nell Walden, hatte scheiden lassen, verschlechterte sich seine wirtschaftliche Lage. Als er die Galerie nicht mehr halten konnte, mehrmals in die UdSSR gereist und zum Kommunisten geworden war, emigrierte er 1932, am Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung, nach Moskau. Wie so viele Russen auch wurde er dort 1941 unter dem Vorwand der Spionage verhaftet. Noch im selben Jahr starb er im Lager Saratow.

Das letzte Bildnis vor seiner Emigration, 1932 von Edmung Kesting gemalt, markiert das Ende der Schau, unweit von Jankel Adlers Porträt Else Lasker-Schülers, die 1945 in Jerusalem starb. Da war "Der Sturm" nur mehr Erinnerung an eine Zeit des Aufbruchs, die hüben wie drüben dem Totalitarismus zum Opfer gefallen war. Was aber bleibt, sind die Bilder.

(RP/sap/pst)
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