Familie des Künstlers im Interview "Wir wissen nicht, wo Ai Weiwei ist"

Peking (RP). Gao Ge, Schwester von Ai Weiwei, spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Schicksal ihres Bruders. Der Konzeptkünstler und Menschenrechtler befindet sich seit Wochen an einem unbekannten Ort in politischer Gefangenschaft. Womöglich wird er gefoltert.

Die Festnahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei unmittelbar nach der Eröffnung der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung", mit der sich Deutschland im neuen Chinesischen Nationalmuseum präsentiert, hat zu einer Debatte über den kulturellen Austausch mit China geführt.

Die Positionen reichen von der Verteidigung bis zur Forderung nach sofortigem Abbruch der Schau. Bei einer Gesprächsrunde in der Berliner Akademie der Künste forderte Kulturstaatsminister Bernd Neumann am Dienstagabend die chinesische Regierung auf, Ai Weiwei umgehend freizulassen. "Seine plötzliche Inhaftierung führt uns vor Augen, dass Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und vor allem die Freiheit der Kunst in China grob missachtet werden", so Neumann.

Unterdessen wartet Weiweis Familie seit drei Wochen auf Informationen. Wir sprachen mit Ai Weiweis Schwester Gao Ge (59) über nutzlose Gespräche mit Behörden, chinesisches Recht und die Kunst ihres Bruders.

Wissen Sie, wie es Ihrem Bruder geht?

Ge Wir erfahren immer noch nichts. Weder meine Mutter Gao Ying noch Ai Weiweis Frau Lu Qing haben seit seiner Festnahme das Geringste erfahren. Wir wissen nicht einmal, wo er festgehalten wird, wo wir für ihn Arzneien oder Kleidung abgeben können. Keine Polizeistelle erklärt sich zuständig. Solange kein Verfahren eingeleitet ist, können wir auch keinen Anwalt einschalten. Wir sind hilflos. Die Behörden verhalten sich uns gegenüber, als ob wir zu einer Wand reden.

Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete, dass gegen Ai Weiwei wegen vermuteter Wirtschaftsverbrechen ermittelt würde?

Ge Über besondere Zeitungen und Zeitschriften werden alle möglichen Vorwürfe und Unterstellungen ohne direkte Aussage der Ermittlungsbehörden lanciert. Solange das so ist, ist es ein Zeichen, dass die Regierung ihm ein Verbrechen anhängen will. Wir wissen nicht mal, wo sein mitverschwundener Cousin, sein Fahrer Liu, sein Buchhalter und sein Mitarbeiter Wen Tao abgeblieben sind. Vor zwei Tagen haben wir furchtbare, aber unbestätigte Nachrichten über Dritte gehört. Danach würde Ai Weiwei barbarisch gefoltert, um ihm ein Geständnis abzupressen. Wir haben von den Behörden verlangt, dass sie Stellung zu solchen Meldungen nehmen. Aber sie geben auch dazu keine Antwort ab. Das ist eine Qual für unsrere Familie.

Haben Sie gehört, dass Ai Weiwei vom "Time"-Magazin unter die 100 einflußreichsten Persönlichkeiten der Welt gewählt wurde? Er hat auch eine Gastprofessur an Berlins Universität der Künste (UdK) bekommen. Seine Arbeiten werden am 29. April bei den Berliner Galerietagen gezeigt.

Ge Das haben wir gehört. Meine Familie ist für solche Unterstützung außerordentliich dankbar. Jede Anerkennung seiner künstlerischen Leistung bewirkt, dass mehr Leute von seiner Kunst erfahren. Viele in China verstehen nicht, was es mit der Aktionskunst von Ai Weiwei auf sich hat. Das nutzen seine Ankläger. Sie greifen Beispiele auf, um ihn als Regierungsfeind hinzustellen oder ihm Pornografie zu unterstellen.

Wie geht es Lu Qing und GaoYing?

Ge Ich lebe mit unserer Mutter zusammen. Sie ist tief verletzt. Ich führe für sie auch die Telefonate, weil sie schwer hört und immer weint. Ai Weiweis Atelier ist verwaist. Meine Mutter hat Lu Qing dort besucht. Das leere Atelieranwesen wirkt deprimierend. Wie tief kann eine Regierung sinken, wenn sie so mit einem Künstler umgeht?

Nach Chinas Gesetzen müssten Sie spätestens nach 30 Tagen Antwort kriegen, was mit Ai Weiwei passiert?

Ge Es gibt Gesetze. Aber wer sagt, dass sie angewendet werden müssen? Ai Weiweis Vater, der Dichter Ai Qing, der 21 Jahre nichts schreiben durfte, hat zu Lebzeiten oft ein Sprichwort zitiert: Dem Xiucai-Gelehrten nützen die besten Argumente nicht, wenn er es mit Soldatenknechten zu tun hat. Wir warten jetzt auf die Anklage.

Johnny Erling führte das Gespräch.

(RP)
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