Interview mit dem Enthüllungsjournalisten Wallraff als Schwarzer unterwegs

Frankfurt/Main (RP). Günter Wallraff war wieder unterwegs - verkleidet, geschminkt, undercover. Seine neuen Sozialreportagen unter dem Motto "Aus der schönen neuen Welt" stellte der Bestsellerautor auf der Buchmesse erstmals vor.

Günter Wallraff schminkt sich schwarz
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Mit seinen "unerwünschten" Reportagen in der Rolle des Arbeiters, Obdachlosen oder jüngst des Schwarzen ist der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff berühmt geworden. Seine Bücher wie "Der Mann, der bei 'Bild' Hans Esser war" oder "Ganz unten" zählen zu den Klassikern der Sozialreportagen. Jetzt stellte er sein neues Werk vor: "Aus der schönen neuen Welt", das heute mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren startet.

Sie sind 67 — also im Rentenalter. Warum muten Sie sich auch körperlich immer noch so viel zu?

Wallraff Tja, vielleicht ist das meine Art, mich zu spüren, mich nützlich zu machen und Wirkung zu erzielen. Das gibt mir auch die Berechtigung, mir es zwischendurch immer wieder gutgehen zu lassen. Ich gehöre ja zu denen, für die Demokratie Wirklichkeit geworden ist. Aber auf diesen Privilegien darf man sich nicht ausruhen.

Macht es auch Spaß?

Wallraff Ja, schon deshalb, weil ich dadurch lernfähig geworden bin. Sie müssen wissen, ich war als Schüler in allen abstrakten Fächern immer ganz schlecht. Ich muss alles vor allem sinnlich erfahren. Im Rollenspiel lerne ich. Das ist selbst in der Politik so: Ich orientiere mich an den Entwicklungen der Gesellschaft. Aus dem Grund bin ich ein klassischer Wechselwähler und trete den jeweils Mächtigen mit Skepsis gegenüber.

Gab es in Ihren Rollenspielen auch Situationen, bei denen Sie an Ihre Grenzen gestoßen sind?

Wallraff Das war bei meiner Reportage in der Brotfabrik, in der alle überfordert waren; wir hatten alle die gleichen Verbrennungen in der maroden Anlage. Da war ich nach einem Monat am Ende meiner Kräfte, mit starker Gewichtsabnahme und Herzrhythmus-Störungen. Aber durch Ausdauertraining wie Marathonläufe geht es mir heute körperlich besser als vor zehn Jahren.

Sind Sie für Ihre Reportagen nicht zu nah dran am Geschehen; fehlt nicht die nötige Distanz?

Wallraff Ich bin nicht objektiv. Ich falle aus der Rolle und beachte nicht den journalistischen Grundsatz, dass man sich mit keiner Sache gemein machen dürfe. Ich bin immer Partei zugunsten der Leidtragenden, ich kann einfach nicht so tun, als wäre ich nur der Beobachter. Das Recht ist auf Seiten der Opfer, hat Böll gesagt. Andererseits: Ich weihe auch keinen in meine Pläne ein.

Was ist bei diesen Rollenspielen für Sie schwieriger: das Verkleiden oder die Rückverwandlung in Günter Wallraff, der ja bei allen verdeckten Recherchen immer weiß, dass er den Rückfahrtschein ins alte Leben in der Tasche hat?

Wallraff Es gibt Situationen, da träume ich in der jeweiligen Rolle. Und manchmal ist es eine Erlösung, wenn ich da wieder rauskomme. Aber in der Tat habe ich ein schlechtes Gefühl den Kollegen gegenüber, sie in diesen Situationen zurückzulassen. Darum bleibe ich an den Themen dran und behalte den Kontakt zu vielen Leuten. Manchmal, wie bei meiner Call-Center-Reportage, kommen nachher sogar Chefs zu mir und offenbaren sich.

Sind Sie ein gerechter Mensch?

Wallraff Ich bin sehr unvollkommen. Jüngeren, die mich ein bisschen idealisieren wollen, sage ich immer: Vorsicht, seht die positiven Seiten meiner Arbeit, aber ich habe genug Fehler und Macken, nehmt mich also nicht als Vorbild. Ich bemühe mich immer, aus meinen Unzulänglichkeiten etwas Gutes zu machen, das gelingt manchmal und manchmal nicht.

Hat die Verwandlung in einen Schwarzen, das Wechseln der Rasse, für Sie eine neue Qualität Ihrer Arbeit gehabt?

Wallraff Ich habe vor 15 Jahren damit mal angefangen und wollte damals als Bootsflüchtling rüberkommen. Aber das wäre zu gefährlich gewesen; denn wenn der Schlepper mich erkannt hätte, wäre ich auf hoher See ins Wasser geschmissen worden. Der Wechsel in die Rolle des Schwarzen war das Differenzierteste, was ich bisher gemacht habe, das Überstreifen einer zweiten Haut und — neben bedrohlichen Situationen — die Alltagserfahrung des täglichen Rassismus in Deutschland.

Was war das Bedrohliche bei diesen Erlebnissen?

Wallraff Als Schwarzer im Zug mit lauter Fußball-Fans. Wenn da nicht mutige Polizeibeamte gewesen wären, hätten die mich alle gemacht. Ich habe noch nie eine so innige Freundschaft mit Polizeibeamten geschlossen.

(RP)
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