Ausstellung in Berlin Von Menschen und Macht

Berlin (RP). Mit deutschen "Wohnzimmern" machte sie auf sich aufmerksam, die "Spuren der Macht" gehören zu ihren Meisterwerken. Gestern eröffnete in Berlin eine erste Gesamtschau der Fotokünstlerin Herlinde Koelbl.

Als Autodidakt einzusteigen, ist nicht die schlechteste Startbedingung für Fotokünstler, die es in der Zunft zu globalem Renommee bringen. Ansel Adams wollte eigentlich Pianist werden, Andreas Feininger eigentlich Architekt, und selbst Helmut Newton brach seine Fotografenlehre ab. Insofern ist die Modedesignerin Herlinde Koelbl keine biografische Ausnahme; auch in ihrer Biografie wollte es der Zufall, dass sie Filme geschenkt bekam, mit denen sie ihre Kinder fotografieren sollte. Damit begann 1976 die Entdeckung eines Talentes. Gestern Abend eröffnete in Berlin die erste Gesamtschau ihres Lebenswerkes mit über 450 überwiegend eindrucksvollen Fotografien.

Bereits die ersten Kinderaufnahmen gingen nicht in die Richtung üblicher Schnappschüsse. Sie dokumentierten die früh ausgeformten höchst verschiedenen Charaktere auch junger und jüngster Menschen. Koelbl wollte mit der Kamera immer schon mehr als nur unter die Oberfläche blicken. Sie sucht die Tiefe der Zusammenhänge weit über den zufälligen Augenblick hinaus. Horizontal über die Bandbreite der jeweiligen Persönlichkeit. Und vertikal über die Entwicklung auf der Zeitachse.

Das bedeutet zwangsläufig eine Bereitschaft und Neigung, sich in ein Projekt regelrecht zu verbeißen. "Leidenschaft" sei die erste Voraussetzung, schildert Koelbl . Dann folge "Disziplin", und zwar "um durchzuhalten, auch finanziell durchzuhalten".

Diese Andeutung lässt sich bereits auf den Beginn ihrer Karriere beziehen. Sie wollte ihr Projekt "deutsche Wohnzimmer" publizieren. Die Antworten potenzieller Verleger: Warum? Banale Fotos von langweiligen Alltäglichkeiten, noch dazu von einer Fotografin ohne "Namen". Sie habe doch einen Namen, meinte sie, "Herlinde Koelbl". Das Schmunzeln verging den Profis der Branche, als sie sahen, wie sich das Buch zum Renner entwickelte. Und damit war Koelbls herausstechendste Wesensart belegt: nicht auf Trends aufspringen, sondern Jahre zuvor sie selbst begründen.

Die Avantgardistin des Alltags geht nicht analytisch ans Werk. Sie setzt sich zwar im Prozess ihrer Projekte immer wieder damit auseinander, ob sie das denn nun genau erfasst hat, auf das es ihr beim Menschen im Mittelpunkt ankommt. Aber der eigentliche Antrieb kommt für sie eher aus dem Bauch. "Ich habe das Gefühl, dass die Themen zu mir kommen; manche klopfen schon seit Jahren an und bestehen darauf: ,Jetzt bin ich dran.'"

So wie die "Spuren der Macht". Mehr als acht Jahre lang begleitete Koelbl Politiker auf dem Weg nach ganz oben. Joschka Fischer mal hungrig, mal feist, mal berstend vor schlankem Stolz. Gerhard Schröder mal suchend, mal mutig, mal mächtig, zum Schluss durch den Wind. Angela Merkel mal neugierig, mal zurückhaltend, mal optimistisch, mal in sich ruhend und mit dem Wechsel von der Wischmobfrisur zur neuen Fraulichkeit endlich angekommen. Aber immer mit überdeutlichen Spuren in Gesicht und Körperhaltung.

Die "Spuren der Macht" zeugen auch von Koelbls über die Fotografie im engeren Sinne hinausreichendes Interesse an einer Auseinandersetzung mit ihren eigenen Leitgedanken. Der optische Eindruck wird ergänzt durch prägnante Sätze über die jeweilige Befindlichkeit der Portraitierten, die ihren Werdegang und ihren jeweiligen Erfahrungszwischenstand perfekt beleuchten. Zu ihrer Serie jüdischer Überlebender des Holocausts gehören tiefschürfende Interviews und Dokumentationen, die ihrerseits wieder belegen, wie viel Koelbl selbst aus den Begegnungen gelernt hat. Über deutsche Geschichte. Über Menschen. Video-Arbeiten runden das Oeuvre ab.

Und was empfindet sie selbst beim Rundgang durch die elf Themengebiete, die Ausschnitte ihres Lebenswerkes repräsentieren? "Dankbarkeit gegenüber so vielen Menschen, die mich in ihr Leben gelassen haben."

(RP)
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