Popkultur-Phänomen Frida Kahlo Frida für immer
Düsseldorf · Die mexikanische Malerin Frida Kahlo ist ein Star des Kunstbetriebs. Außerdem ist sie Comic-Heldin, Barbie-Puppe, und im Internet folgen ihr Hunderttausende. Dabei ist Kahlo schon seit 65 Jahren tot.
Sie hat ja nicht einmal runden Geburtstag, wie den 100., 150. oder einen Jubiläums-Todestag. Sie ist 1907 in Mexiko geboren und 1954 in Mexiko gestorben. Sie wäre dieses Jahr also 112 geworden, und seit 65 Jahren ist sie tot. Es gibt keinen Anlass, zu dem sich der Staatspräsident und ein Oberbürgermeister auf die Bühne stellen und das große Kahlo-Jahr ausrufen könnten. Es gibt keine großen Ausstellungen – außer einer in Brooklyn –, es gab keine zuletzt – außer der aus Brooklyn, die zuvor in London zu sehen war. Trotzdem ist Frida Kahlo präsent wie nie. Eine tote mexikanische Malerin aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hält Einzug in die Populärkultur, und alle Welt kann dabei zusehen oder sich beim Klamottenladen „Urban Outfitters“ ein Notizheft mit Frida-Kahlo-Selfie kaufen. Wie hat sie das bloß hinbekommen?
Man kann sich Frida Kahlo auf unterschiedlichen Wegen nähern, ohne zum Kahlo-Museum nach Mexiko-Stadt reisen zu müssen. Es gibt zahlreiche Publikationen, Handy-Hüllen, Schmuckkissen, und dann war da noch die Sache mit der Barbie-Puppe im vergangenen Jahr. Da hielt es der Spielzeug-Hersteller Mattel für eine gute Idee, seine „Shero“-Reihe zum Weltfrauentag um eine Figur zu erweitern und schlitterte geradewegs in einen Gerichtsprozess. „Shero“ ist ein Kofferwort, zusammengesetzt aus „She“ und Hero“, und neben einer Heldin mit Barbie-Anmutung, die aussieht wie die Snowboard-Olympiasiegerin Chloe Kim, gibt es nun auch eine, die an Frida Kahlo erinnern soll – nur mit schmaleren Gesichtszügen und gezupften Augenbrauen.
Einen Riesenärger gab das: Kahlos Verwandlung zur Barbie, seit Jahrzehnten das Symbol für ein auf Äußerlichkeiten reduziertes Frauenbild. „Frida Kahlo hat nie versucht, wie jemand anderes auszusehen oder zu sein. Sie hat immer ihre Einzigartigkeit gefeiert“, kritisierte Schauspielerin Salma Hayek, die Kahlo im Spielfilm „Frida“ verkörpert hatte und dafür 2003 eine Oscar-Nominierung erhielt. Kahlos Großnichte erwirkte schließlich ein Verkaufsverbot in Mexiko. In Deutschland gibt es das Püppchen noch immer.
Der Streit drehte sich neben Bildrecht-Verletzungen um die Frage, wofür Frida Kahlo heute steht. Sie gilt als Symbol weiblichen Empowerments – weiblicher Ermächtigung. „Sie nahm sich Freiheiten, die damals für Frauen nicht üblich waren“, sagt Helga Prignitz-Poda, Kunsthistorikerin und Mitherausgeberin des Kahlo-Werkverzeichnisses. „Sie hatte eine große Anzahl von Affären mit Frauen und Männern, sie hatte Abtreibungen, ließ sich scheiden und lebte einige Zeit auch allein.“ Mit dem Maler Diego Rivera stand Kahlo in komplizierten Beziehungsverhältnissen. Zu ihren Liebhabern gehörte der russische Revolutionär Leo Trotzki.
Selbstverständlich habe Kahlo Geschlechterrollen in Frage gestellt, sagt Prignitz-Poda, vor allem in ihrem Leben, aber auch in ihrer Kunst. Berühmt ist ihr „Selbstbildnis mit abgeschnittenen Haaren“ – eines ihrer zahlreichen Selbstporträts, die sie oftmals in traditionellen Kleidern darstellten. Dieses eine aber zeigte Kahlo sitzend im weiten Herrenanzug, in der einen Hand eine Schere, in der anderen ihren schwarzen Zopf, auf dem Kopf eine Kurzhaarfrisur. Übrigens: Vor sechs Jahren ließ sich Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht für die „Gala“ in gleicher Pose fotografieren.
Frida Kahlo ist als Tochter von Matilde Calderón und Carl Wilhelm Kahlo zur Welt gekommen. Die Mutter stammte aus dem südmexikanischen Oaxaca, der Vater aus Pforzheim. 1891 wanderte er aus und nannte sich fortan Guillermo.
Mit sechs Jahren erkrankte Tochter Frida an Kinderlähmung, die zu einer lebenslangen Schwächung des rechten Beins führte. Mit 18 Jahren wurde sie bei einem Busunglück schwer verletzt. Der Unfall, ihre körperlichen Einschränkungen, daraus resultierende Fehlgeburten und zahlreiche Operationen wurden zu Gegenständen ihrer Malerei, die oft verstörend wirkt und wenig zu tun hat mit den bunten Selbstbildnissen, die von Kahlo ins kollektive Gedächtnis übergegangen sind. Die deutschen Wurzeln spielten in ihren Arbeiten kaum eine Rolle, allenfalls stellte sie die europäischen den mexikanischen Einflüssen gegenüber, die kolonialistischen den präkolonialistischen. Im Gesamtwerk dominieren die Anspielungen auf das Land ihrer Mutter.
Frida Kahlo war sich ihrer Wirkung dabei stets bewusst. Ihre Arbeiten lud sie symbolisch auf. Wiederkehrende Merkmale sind aztekische Halsketten, Rebozo-Schals und Tehuana-Trachten, die auch auf die matriarchalische Gesellschaftsform aus dem Isthmus von Tehuantepec verwiesen, einer Landenge zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik.
Ihre Aufmachungen waren „eine Form der Selbstdarstellung und eine Erweiterung ihrer Kunst“, schreibt Circe Henestrosa im jüngst auf Deutsch erschienenen Katalog zur Londoner Ausstellung „Making Her Self Up“. Kahlo selbst wirke „wie ein Produkt ihrer Kunst“, staunte die „Vogue“ schon 1938. Erst kürzlich untersuchten Forscher die berühmten Kleider der Künstlerin und stellten fest, dass sie diese nicht nur zu Fotogelegenheiten und Show-Zwecken, sondern auch im Alltag trug. Die Textilien wiesen Spuren und Pigmente von Farbe auf.
Heute wäre Frida Kahlo bei Instagram, sagte Kuratorin Claire Wilcox neulich der „FAZ“, was nicht ganz richtig ist, denn Frida Kahlo ist bei Instagram. 815.000 Menschen folgen dem von ihrer Familie eingerichteten Profil, das täglich Selbstbildnisse absetzt. Zum Vergleich: Einer der teuersten lebenden Künstler, Jeff Koons, bringt es auf 317.000 Follower.
Helga Prignitz-Poda nennt Kahlo eine „Selfie Queen“. Es sei dieser Aspekt, der sie so populär mache. „Sie stellt sich in vielen ihrer Selbstbildnisse die Fragen: Wer bin ich, wo bin ich, und wo will ich hin – die ja im Prinzip jedem Selfie zugrunde liegen.“ Man kann Kahlo auch als Galionsfigur einer wachsenden Social-Media-Gemeinde verstehen, die sich ganz bewusst mit Macken und Makeln zur Schau stellt und ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Körper propagiert.
Zugleich waren Kahlos Selbstbildnisse immer wieder Grundlage für Nachahmungen. Es gibt etwa eine opulente Comic-Biografie von Vanna Vinci, die Kahlos Stil bewusst aufnimmt. Und Popstar Beyoncé, eine andere Symbolfigur der Selbstermächtigung, verkleidete sich einmal an Halloween mit Kahlo-Kostüm: buschige Augenbrauen, Blumen im Haar.
Hervorgehoben werde im Zitat oft nur der symbolische Gehalt der mythischen Frida, bemängelt Kunsthistorikerin Oriana Baddeley. „Es mag eine inspirierende Frida sein, eine kreative Frida, eine leidende Frida oder eine subversive Frida, vor allem aber ist es immer eine leicht erkennbare Frida“, so Baddeley. „Die Zeichentrick-Charakteristika der Frida-Manie geraten leicht zur Parodie und verdunkeln die Intelligenz, die der Arbeit einer großen Künstlerin des 20. Jahrhunderts innewohnt.“ Es bleibe wichtig, sich daran zu erinnern, „dass es Kahlo war, die zunächst Frida erschuf“.
Die Vielzitierte hatte offenbar auch anderes im Sinn als Unsterblichkeit. Kurz vor ihrem Tod mit nur 47 Jahren notierte Frida Kahlo: „Freudig erwarte ich den Abgang. Und ich hoffe, nie wieder zurückzukehren.“
Daraus wurde nichts.