Kunstschatz in der Garage gehortet Picasso im Pappkarton

Mouans-Sartoux (RPO). Die grüne Farbe des Gartenzauns ist abgeblättert, körniger Staub bedeckt den Boden der schmalen Garage. Vierzig Jahre lang haben hier 271 wertvolle Zeichnungen von Pablo Picasso in einem Pappkarton zwischen Gartenschlauch und Spaten gelagert. Das Ehepaar Le Guennec im südfranzösischen Mouans-Sartoux hat mit seinem versteckten Bilderschatz die Kunstwelt in Aufregung versetzt.

271 unbekannte Picassos aufgetaucht
14 Bilder

271 unbekannte Picassos aufgetaucht

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Erst in dieser Woche wurde bekannt, dass die beiden Rentner bisher unbekannte Werke von Picasso in ihrer Garage aufbewahrten. Einer der größten Kunstfunde aller Zeiten soll einen Wert von mindestens 60 Millionen Euro haben. Inzwischen haben die Erben von Picasso die Werke konfiszieren lassen, sie lagern in einem Tresor in Paris.

"Die Bilder waren ein Geschenk von Picasso", sagt Pierre Le Guennec. "Ich verstehe die Aufregung gar nicht", murmelt der Elektriker mehrfach in seinem südfranzösischen Akzent. Der Mann mit den grauen verwehten Haaren hatte mehrere Jahre lang für Pablo Picasso im Nachbarort Mougins gearbeitet und will Anfang der 70er Jahre den Karton mit den Zeichnungen als Geschenk erhalten haben. "Sehe ich etwa aus wie ein Dieb?", fragt der Rentner aufgeregt und zeigt auf sein bescheidenes Haus. Tatsächlich liegt es in einer mittelständischen Siedlung von Einfamilienhäusern, die Fassade des provenzalischen Baus lange nicht gestrichen.

Das Ehepaar hat schon äußerlich wenig mit Kunstsammlern gemeinsam. Jacqueline trägt einen bunten Wollpullover, ihr Mann Jeans und ein rustikales Hemd, die oberen drei Knöpfe des 71-Jährigen sind geöffnet. "Ich habe die Bilder nie verkaufen wollen", sagt er. "Wozu auch? Ich hänge nicht am Geld", sagt er achzelzuckend.

Anzeige wegen Hehlerei

Picassos Erben glauben an die Echtheit der Werke - nicht aber an die Geschichte des Rentnerpaares. Sohn Claude hat laut der französischen Tageszeitung "Liberation" schon im September Klage wegen vermuteter Hehlerei eingereicht. "Eine solche Menge an Werken auf einmal abzugeben, das wäre höchst untypisch", sagte er der Zeitung. Er will nun juristisch die Werke zurückfordern und hat Anzeige gegen unbekannt erstattet.

Die Bilder stammen aus der kreativsten Phase Picassos von 1900 bis 1932. Neben Lithografien, Porträts und Skizzen gehören zu der Sammlung auch neun Kollagen. Die Le Guennecs reden vollkommen unbedarft über ihr wertvolles Geschenk. "Das sind doch keine fertigen Werke", sagt Jacqueline und malt mit ihrem Finger Kreise in die Luft. Der Meister habe immer Übungen gemacht, mal hier einen Kopf und da eine Figur ausprobiert, so die rundliche Rentnerin. Außerdem seien es nicht 271, sondern lediglich 160 Werke. "Die haben einfach zwei Zeichnungen auf einem Blatt als zwei Werke gezählt", echauffiert sie sich.

Das Ehepaar hatte den Karton nach eigenen Angaben "nahezu vergessen". Pierre le Guennec wollte in diesem Jahr "Ordnung in meine Sachen bringen, bevor ich sterbe", sagt er. Im vergangenen Jahr hatte der Rentner ein schweres Krebsleiden erlitten, das habe ihm zum Nachdenken gebracht. Seine zwei Söhne sollten kein Probleme mit dem Erbe haben, deswegen habe er sich knapp vierzig Jahre nach der Schenkung um den Pappkarton in der Garage gekümmert. Er habe sich im Januar an Claude Picasso gewandt und war vollkommen "bestürzt über die harsche Reaktion". Wie Diebe seien sie für einen Tag in Polizeigewahrsam gekommen "und jetzt sind wir im absoluten Chaos", sagt er.

Der Künstler als "normaler Arbeitgeber"

Auch die Bevölkerung von Mouans-Sartoux, wenige Kilometer südlich von Grasse, ist in Aufruhr. Die Lokalzeitung "Nice-Matin" widmet den Picasso-Funden die Titelschlagzeile und drei Sonderseiten. Die frühmorgendlichen Kaffeetrinker in der Bar am zentralen Platz glauben an die Unschuld des Ehepaars Le Guennec. "Ein Dieb hätte die Werke doch längst verkauft", sagt Jeremy Moulin. Seine Tresennachbarn nicken zustimmend. Sie alle kennen das feudale Anwesen von Picasso im Nachbarort Mougins, von den Bildern in der Garage wenige Straßen entfernt haben sie aber auch erst aus den Medien erfahren. "Es ist eine unglaubliche Geschichte."

Für die Le Guennecs aber war einer der größten Maler des 20. Jahrhunderts ein "normaler Arbeitgeber". Pierre Le Guennec hat Ende der 60er Jahre auf eine Zeitungsanzeige geantwortet. Jemand suchte einen "Elektriker in Vollzeit". Es war Pablo Picasso und Le Guennec arbeitet drei Jahre für den Ausnahmekünstler und weitere 14 Jahre nach seinem Tod für seine letzte Ehefrau. Sie hätten zusammen Tee getrunken und sich gut verstanden. Eines Tages habe der "Meister", wie das Ehepaar Picasso immer noch nennt, ihnen einen Karton mit Zeichnungen geschenkt. Sie hätten es mit nach Hause genommen und in einem Pappkarton in die Garage gestellt und nicht weiter beachtet.

Wie auch immer die juristische Auseinandersetzung ausgehen wird- das Ehepaar Le Guennec will die Werke weiterhin nicht verkaufen. Allerdings ist auch ihnen klar: In einem Pappkarton in ihrer Garage können sie die wertvollen Werke zukünftig nicht mehr aufbewahren.

(apd)
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