Schriftsteller trifft Kriegsverbrecher Peter Handke sprach mit Karadzic

(RP). Über den österreichischen Dichter Peter Handke erscheint demnächst eine Biografie, die sein Treffen mit dem früheren Serbenführer Karadi belegt und seine Rede am Grab von Miloevi dokumentiert. Sein Eintreten für Serbien hat viele Facetten – es gründet in der slowenischen Herkunft.

 Schriftsteller Peter Handke.

Schriftsteller Peter Handke.

Foto: CTK, AP

(RP). Über den österreichischen Dichter Peter Handke erscheint demnächst eine Biografie, die sein Treffen mit dem früheren Serbenführer Karadi belegt und seine Rede am Grab von Miloevi dokumentiert. Sein Eintreten für Serbien hat viele Facetten — es gründet in der slowenischen Herkunft.

Nun also fällt Licht auf diesen 20. Dezember 1996. Und zu sehen ist eine eigenartige Szenerie: Wie der Dichter Peter Handke ins serbische Pale reist, wie er in eine Baracke tritt und Radovan Karadi — eingerahmt von Bodyguards — gegenübersteht. Wie Sliwowitz gereicht wird und Handke dem früheren Serbenführer einen Zettel in die Hand drückt: eine Liste von bosnisch-muslimischen Vermissten aus Srebrenica, die ihm Bekannte in Salzburg mit auf den Weg gegeben haben.

Im Grunde ist das ungeheuerlich: Ausgerechnet einem, der für das Massaker von Srebrenica mitverantwortlich gemacht wird und der derzeit vor dem UN-Tribunal in Den Haag steht, bittet der Dichter tatsächlich um eine Art Suchdienst. Ist dieses Anliegen menschlich rührend? Oder vielleicht doch nur grenzenlos naiv?

Auf keinen Fall, sagt der Hamburger Journalist und Literaturwissenschaftler Malte Herwig, der Handke in den vergangenen drei Jahren so nahe kommen konnte wie kein anderer Biograph. Für sein demnächst erscheinendes Buch hat der Dichter ihn viele private Briefe lesen lassen und sogar seine Tagebücher.

Handke, so Herwig gestern im Gespräch mit der Rheinischen Post, weiß, was er tut und was er sagt. Und die Liste für Karadi? "Da gehört doch Mut zu", sagt Herwig, "Mut vor dem Fürstenthron." Warum Handke sich überhaupt auf diesen Weg begab, hat er seinem Biographen erklärt, schlicht und präzise: "Man will die Geschichte ja verstehen, darum geht man hin."

Genau das scheint das "Prinzip Handke" zu sein — hingehen, um etwas zu begreifen, anschauen, um es zu verstehen; kurzum: Zeitzeuge zu sein. Aus demselben Grund reist er im März 2006 zur Beerdigung von Slobodan Miloevi, dem ehemaligen serbischen Präsidenten, der auch vor dem Kriegsverbrechertribunal stand und "Schlächter des Balkans" wie auch "Totengräber Jugoslawiens" genannt wird. Handke fährt hin, der Autor schließt sich dem Leichenzug an und gehört zwischen Militärs auch zu den Grabrednern. Es sind nur etwa zwei Minuten, aber immerhin.

Herwig hat jetzt sogar das Redemanuskript gefunden — mit nachdenklichen, keineswegs nationalistisch aufgeladenen Worten: Es sei ein Tag, so Handke auf Serbokroatisch, "nicht nur für starke, sondern auch für schwache Worte". Und dann erzählt er eindringlich, warum er gekommen ist: "Die sogenannte Welt weiß die Wahrheit. Deswegen ist die sogenannte Welt heute abwesend, und nicht bloß heute, und nicht bloß hier. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Ich weiß die Wahrheit nicht. Aber ich schaue. Ich höre. Ich fühle. Ich erinnere mich. Deswegen bin ich heute anwesend, nah an Jugoslawien, nah an Serbien, nah an Slobodan Miloevi."

Der Kondolenzbesuch aber ist für Peter Handke noch weit mehr als ein Markstein des Wahrheitssuchenden. Es ist ein Schlüsselerlebnis. Weil für ihn mit Miloevi symbolisch ein ganzer Staat zu Grabe getragen wird, das ehemalige Jugoslawien nämlich, der alte Vielvölkerstaat. "Ich muss dabei sein, wenn irgendwas zu Ende geht", diktiert Handke seinem Biographen in die Feder. Was er verschweigt: Es ist das Ende seiner mythischen Heimat, des großräumigen Balkans, in dem er sich verwurzelt fühlt. Die slowenische Herkunft seiner Mutter ist seine Maßgabe, ist auch der Traum von einer frühen Geborgenheit. Im Gegenbild dazu stehen die beiden deutschen Väter, sein Stiefvater Bruno Handke und sein leiblicher Vater Erich Schönemann. Für den Dichter werden beide zu imaginierten Stellvertretern deutscher Verbrechen. Nicht ohne biografischen Grund wird in Handkes Werk der Vatermord zu einem wesentlichen Motiv.

Man wird Handke mit diesem Buch besser verstehen können, ohne gleich auch alles akzeptieren zu müssen, was er sagt und was er tut. Dass er Karadi tatsächlich um Suchhilfe bat, hat der Serbe selbst bestätigt. Handke habe ihn regelrecht gelöchert, hat er Malte Herwig anvertraut. Er habe zwar gewusst, dass Handke sich für Serbien einsetzt, hat Karadi ebenfalls erklärt, doch ahnte man, dass sich der österreichische Dichter für serbische Zwecke kaum vereinnahmen ließe. So habe es keinen Orden für Handke gegeben, weil man Angst hatte, ihn zu beleidigen.

Wenige Wochen nach dem Treffen mit Handke taucht Karadi unter und verwandelt sich: Zwölf Jahre lang geistert er als Wunderheiler Dragan Dabi mit imposanten Rauschebart und Zopf durch die Lande Balkans. Als er im Sommer 2008 schließlich gefasst und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt wird, denkt Handke: "Gericht muss wohl sein."

Und wer und was genau ist jetzt dieser Handke? Ein Missverstandener, dem man den Heine-Preis wegen seines Engagements verwehrte? Peter Handke ist ein "Mann des Krieges", sagt Malte Herwig, "mitunter jähzornig besessen von einem Dämon, mit dem er kämpft und dem er mit ungeheurer Kraftanstrengung eins immer wieder abzuringen weiß: ein literarisches Werk des Friedens."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort