Düsseldorfer Schauspielhaus Packender Kunstkrimi – Houellebecq im Düsseldorfer Schauspiel

Düsseldorf · Jed Martin ist Künstler, schlaksige Figur, 68er-Brille, intellektueller Gesichtsausdruck, Blue Notes in der Stimme. Zurzeit fotografiert er Celebrities, die selber Künstler sind: Damien Hirst und Jeff Koons – die umsatzstärksten, also erfolgreichsten weltweit. Jed steht in seinem geräumigen Fotolabor und setzt sich mit den Typen auseinander. Auf Abzügen und Videos liegen sie vor, doch kann er ihren aalglatten Gesichtern nichts mehr abgewinnen. Im Grunde ist er angewidert. Die Videos werden vervielfacht, auf Tischplatten projiziert, die Fotos zerschnitten.

Jed Martin ist Künstler, schlaksige Figur, 68er-Brille, intellektueller Gesichtsausdruck, Blue Notes in der Stimme. Zurzeit fotografiert er Celebrities, die selber Künstler sind: Damien Hirst und Jeff Koons — die umsatzstärksten, also erfolgreichsten weltweit. Jed steht in seinem geräumigen Fotolabor und setzt sich mit den Typen auseinander. Auf Abzügen und Videos liegen sie vor, doch kann er ihren aalglatten Gesichtern nichts mehr abgewinnen. Im Grunde ist er angewidert. Die Videos werden vervielfacht, auf Tischplatten projiziert, die Fotos zerschnitten.

Mit diesem Einblick in die glamouröse Warenwelt der Kunst beginnt die Dramatisierung des Romans "Karte und Gebiet" im Düsseldorfer Schauspielhaus. Christoph Luser als wundervoll hintergründiger Jed spricht exakt die gleichen Worte in dieser Uraufführung durch Falk Richter, wie sie Michel Houellebecq in seinem 414 Seiten starken Roman aufgeschrieben hat. Auch das Ende wird nach knapp drei Stunden texttreu sein. Dazwischen hat Richter stark ausgewählt, Erlebtes verstärkt und überhöht, die Bühne in verschiedene Zeitzonen und Aktionsareale eingeteilt, Mikrofone installiert, Live-Musik von Malte Beckenbach aufgebaut als zweite künstlerische Ebene und als dritte Ebene raumgreifende 3-D-Installationen des Videokünstlers Chris Kondek eingezogen.

Jeds Welt ist die Welt der Kunst. Die Menschen, auf die er trifft, haben mit dem international explodierenden Kunstmarkt zu tun, sein wieseliger Galerist (wandlungsfähig und gewitzt: Moritz Führmann), seine russische Freundin (dialektbegabt und körperbetont: Karin Pfammatter), sogar sein Vater, der Architekt und Bauhaus-Kritiker (gediegen: Werner Rehm). Auch der wichtigste Mensch, dem er begegnet, der Autor Michel Houellebecq, ist ein Künstler, eben der berühmte Schriftsteller, der sich in diesem Text bitter-ironisch spiegelt und bis auf die Knochen entblößt. Houellebecq wird grausam abgeschlachtet, ebenso sein Hund. Die Polizei ist geschockt und beginnt zu ermitteln. Houellebecq erlebte als Autor viele Anfeindungen, doch sein Mörder wollte offenbar nur an das von Jed Martin gemalte Porträt, das in seiner Wohnung hängt. Sammler gelten als gierig, besessen, mitunter als wahnsinnig. Dieser war ein abartiger Arzt, der die Leiche zerschnitten und den Kopf säuberlich abgetrennt hat. Die Fleischstücke in ihren Blutlachen wurden nach der Action-painting-Vorlage eines Jackson Pollock in der Wohnung des Opfers verteilt.

Die Fragen des Lebens — Liebe, Familie, Heimat, Körper, Natur und Arbeit — sind Thema dieser sonderbaren Vermessung der Welt. Der Zuschauer nimmt an Lebensläufen teil. Bei Jed Martin und Michel Houellebecq sind es schmerzensreiche, die von Verlust, Leere und mangelnder Orientierung künden. Die Landkarte ist ein von Jed entdecktes banales Medium, das er in der Kunst einsetzt. Weltberühmt wird er dadurch und reich — auf sowas hat der erhitzte Markt gewartet.

Die Landkarte steht als Metapher, liefert Koordinaten für eine Lebensrecherche, und der Maßstab zeigt an: Wie lange geht das Leben? Wo sind die geraden und kurvigen Wege? Wo sind markante Erhebungen, wo ist die Straße am Ende? Leben werden vielfach gespiegelt. Jed Martin zieht sich verbittert und krank in ein Gebiet zurück, in dem die Welt außen vor bleibt. Doch auch er wird unglücklich sterben.

In dieser virtuosen Inszenierung wird viel und gut gesprochen — artikuliert, ausdrücklich, betont. Durch den Wechsel von indirekter und direkter Rede entsteht Distanz. Die Menschen berühren sich wenig, sehen sich kaum an. Und doch sind die Beziehungsfäden zwischen ihnen fein gesponnen. Wenn sie spielen, dann tun sie es bewegend und gut — neben Christoph Luser besonders der Däne Olaf Johannessen als kauziger Houellebecq. Mit modernen Mitteln der Kunst erhält die Inszenierung den passenden Rahmen — der Wortsinn und die Videobotschaften bleiben haften. Es ist ein packender Theaterabend.

(RP/rai)
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