Kulturhauptsstadt 2010 Neues Ruhr-Museum auf Zollverein

Essen (RP). Auf der Essener Zeche Zollverein, im Gebäude der einstigen Kohlenwäsche, kann man jetzt tief in die Geschichte des Ruhrgebiets blicken. Bis ins Karbonzeitalter zurück, in dem die Kohle entstand. Das Panorama umfasst die hohe Zeit der Zechen ebenso wie den Strukturwandel der Gegenwart.

Das Ruhr-Museum auf Zollverein
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Das Ruhr-Museum auf Zollverein

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Mit der Rolltreppe ins Ruhrgebiet: Im umgebauten Gehäuse der Kohlenwäsche, in der einst Wasserstrahlen das schwarze Gold von Gestein trennten, erschließt sich jetzt auf der Zeche Zollverein, wie der Kohlenpott wurde, was er ist, wie er lebt und lacht. Das Ruhr-Museum, das von Sonntag an öffentlich zugänglich ist, tritt die Nachfolge des Ruhrland-Museums an, nur vermittelt es seine Inhalte viel spielerischer. Das Museum der Naturkunde und der Technik bietet inmitten der Kohlenwäsche mit ihren Rohren, Rosten und Maschinen zugleich ein Sittengemälde der Region aus Vergangenheit und Gegenwart.

Ab Sonntag geöffnet

Wenn man das Gebäude über die ellenlange Außenrolltreppe erst einmal erklommen hat, steigt oder fährt man im Inneren bequem hinab auf drei Ausstellungsebenen — und erreicht zunächst die Gegenwart. Großdias von Fußball, Kiosken und Camping an der Ruhr empfangen die Besucher, dazu typische Ruhrgebietsgeräusche und auf Video die "Missfits" und deren kabarettistische Verwandte, die den Kohlenpott auf ihre Weise zum Kochen bringen.

Die mittlere Ausstellungsebene trägt den Titel "Gedächtnis"; sie breitet die Sammlungen des Museums samt etlicher bemerkenswerter Leihgaben aus, vom Skelett eines Mammuts über Funde aus der Römerzeit und Globen von Gerhard Mercator bis zum Marienaltar vom Niederrhein. Gerade in dieser Abteilung merkt man, wie weit das Ruhr-Museum die geografische Grenze seiner Sammeltätigkeit zieht, denn man trifft auf Stücke aus dem Kloster Kamp ebenso wie auf eine Monstranz aus Wesel oder römische Funde aus Xanten. Schließlich gibt es historische Verbindungslinien, die über das Land an der Ruhr hinausreichen. Die Römer wählten die heutige Ruhrregion als Gebiet zum Aufmarsch gegen die feindlichen Germanen und zogen sich erst dann ins Linksrheinische zurück.

Auf der unteren Ausstellungsebene breitet sich die Geschichte des Ruhrgebiets im Industriezeitalter aus, von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Strukturwandel der Gegenwart — ergänzt um ein optisches Vorwort über die Entstehung der Kohle im Erdzeitalter des Karbons. Die Ausstellungsstücke, die dort versammelt sind, reichen in ihrem Wert nicht an die Kostbarkeiten der mittleren Ebene heran, doch sie erzeugen eine Ahnung vom Milieu.

Eine alte Aral-Zapfsäule, eine Registrierkasse, die Achse eines Kohlenwagens, ein Webstuhl — solche Schaustücke werden unweigerlich Anlass ausgedehnter Erzählungen sein, wenn demnächst Schulklassen durchs Haus geführt werden. Überall stößt man auf gut bezeichnete Themeninseln, etwa zur vorindustriellen Gesellschaft oder zu Umweltzerstörung und -schutz.

Das Büro HG Merz, das bereits das Mercedes- und das Porsche-Museum in Stuttgart einrichtete, hat auch die Ausstellungsarchitektur des Ruhr-Museums entworfen: Vitrinen, die sich zwischen die riesigen Maschinen der Kohlenwäsche ducken, ihnen ausweichen und zugleich doch genug Platz gewinnen für Fotografien, Plakate und eine Fülle filigraner Objekte etwa aus dem Mittelalter. So erweist sich die Schausammlung mit ihren 5000 Stücken — zuzüglich 1000 Leihgaben aus anderen Museen und Archiven des Ruhrgebiets — als Schlüssel zum Verständnis der Region, und es ist ein beabsichtigter Glücksfall, dass das Haus gerade jetzt, zum Beginn des Kulturhauptstadtjahrs, fertig wurde.

Zu wenig Erinnerung an die Nazi-Zeit?

Einzig und allein die Darstellung der Nazi-Zeit erscheint kritikwürdig. Natürlich kann man verstehen, dass die Museumsleitung keine unerbetenen Gäste ins Haus ziehen will; Gäste, die sich an Relikten der braunen Zeit berauschen, statt darüber zu erschaudern. Doch die Zeit des Nationalsozialismus im Ruhrgebiet nimmt auf dem Marsch vom Karbon bis zum Strukturwandel so wenig Platz ein, dass man leicht daran vorbeiläuft.

Fast nur "Flachware" — Fotografien, Plakate — ruft die Zeit der Katastrophe in Erinnerung. An anderer Stelle der Sammlung hat man sich immerhin zu etwas mehr Plastizität entschlossen: Ein Musikcorps der SA ist in Figuren aus Elastolin nachgebildet, mit Hakenkreuz auf den Schultern und ergänzt um die Erläuterung, dass ein Vater damit noch in den sechziger Jahren seinen Sohn habe spielen lassen. Erst die nachfolgende Generation hat das düstere Spielzeug ins Museum gegeben, zur Aufklärung der Nachgeborenen.

(RP)
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