Ausstellung im Museum Kunstpalast Wie Max Liebermann das Schauen lernte

Düsseldorf · Die Ausstellung „Ich. Max Liebermann“ zeigt, wie stark Europas Künstler im 19. Jahrhundert vernetzt waren. In der 120 Werke umfassenden Schau sind auch Arbeiten von Van Gogh, Monet, Pissarro und Manet zu erleben.

Auch keine schlechte Art, ein Leben zu führen: einfach durch die Weltgeschichte flippern, sich umwerfen und wegpusten lassen von hochbegabten Menschen und auf jeder neuen Euphorie-Welle weiter reiten, um schließlich der zu werden, der man ist. Max Liebermann hat es so gehalten. Man kann ihn sich wie ein Streichholz vorstellen: Wenn er anderswo mit dem Neuen in Berührung kam, ging er in Flammen auf. Er war ein fahrender Enthusiast.

 „Ich. Max Liebermann – Ein europäischer Künstler“ heißt die Ausstellung, die das Museum Kunstpalast nun eröffnet. Wobei man den Begriff Ausstellung nicht klassisch verstehen sollte. Die Schau bietet die Möglichkeit, sich von einem Zeitstrahl mitreißen zu lassen und den Weg eines Künstlers zur Ich-Werdung, zu Reife und Vollendung mitzuerleben. Am Ende der Tour mit 120 Werken steht die Erfindung der Moderne aus dem Geist der anregenden Begegnung.

 Der 1847 geborene Liebermann war nicht immer der preußische Schnauz mit steifem Kragen und gebügelter Weste. Wie jeder anständige Widerspenst gefiel es dem jungen Kerl, mit Dreck zu werfen. „Bauernhof in Barbizon“ heißt das Gemälde aus dem Jahr 1874, auf dessen Leinwand der Schmutz in dicken braunen Placken klebt. Man hört förmlich die Watschefüße der Gänse in der Matsche; man kann das Bild riechen, und es stinkt.

 Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts war Liebermann zum Studium nach Weimar gegangen. An der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule traf er den aus Düsseldorf zugezogenen Lehrer Theodor Hagen. Und der öffnete ihm den Horizont: Hör auf, die Dinge zu idealisieren!, riet Hagen. Zeig sie, wie sie sind! Hagen nahm den talentierten Studenten mit nach Düsseldorf, wo sie den ungarischen Kollegen Mihály Munkácsy in seinem Atelier besuchten. Liebermann stand vor dessen Staffeleien und blickte auf Erdtöne, starke Farbkontraste, Lichteffekte. Die Bilder waren von einfachen Leuten bevölkert. Alles wirkte echt und unmittelbar. Und genau das wollte Liebermann auch.

Diese Ausstellung heftet sich Liebermann an die Fersen und folgt ihm zu den nächsten Stationen seiner Kunst und seines Lebens. Nachdem er in einer Ausstellung in Hamburg mit den von Munkácsy beeinflussten „Gänserupferinnen“ berühmt geworden war, zog er für fünf Jahre nach Paris. Von dort unternahm Liebermann Ausflüge nach Barbizon, wo Leute wie Millet unter freiem Himmel die Erntearbeiten malten und das wahre Leben in Echtzeit zeichneten. Weiter ging es nach Holland, wo gerade die Alten Meister wiederentdeckt wurden und Liebermann fasziniert war von deren Naturalismus und Realismus, von Frans Hals und Rembrandt und deren Art, das Licht zu porträtieren.

 Dem Impressionismus begegnete Liebermann bereits in Paris, aber erst ab 1890 begriff er ihn auch. Und da wird er dann zu Liebermann, zur Marke Liebermann: Seine Farbpalette hellt sich auf, es geht ihm nun noch stärker um das Einfangen des Augenblicks und seiner Atmosphäre. Wenn Menschen auftauchen, dann als Reiter, Badende und Flaneure, auf Wegen, am Strand oder im Café. Liebermann wird zum Großstadtmaler, zum Dokumentaristen bürgerlichen Geflirrs, das er aus Lichtpunkten und Farbtupfern komponiert.

Es ist ein anderes Europa, das in der Ausstellung vorgestellt wird. Eines, über das Künstler ein eigenes Gitternetz gelegt haben, das sie durch Austausch und gegenseitige Beeinflussung zum Glühen bringen. Deutschland und Frankreich mögen sich spinnefeind gewesen sein, aber die Künstler schufen einen über den Grenzen schwebenden geistigen Raum. Liebermann beteiligte sich an internationalen Schauen und lud Kollegen aus dem Ausland ein, sich an Ausstellungen zu beteiligen, die er verantwortete. Liebermann dürfte es als Mitglied einer vermögenden Familie leichter gefallen sein, unabhängig zu bleiben. Sein Großvater hatte in der Textilindustrie ein Vermögen angehäuft.

Die Malerei war schon im 19. Jahrhundert internationaler als die Politik. Arbeiten von Van Gogh und Monet, von Pissarro und Manet hängen im Kunstpalast neben denen Liebermanns. Sie beweisen, dass Künstler selten einfach da sind, sondern stets werden, dass sie aufnehmen und reagieren und zu sich selbst finden, indem sie das Werk anderer reflektieren.

 Die letzte Station ist dem Spätwerk des 1935 gestorbenen Liebermanns gewidmet. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verließ er Berlin kaum mehr. Er verbrachte die Sommer in seinem Haus am Wannsee und konzentrierte sich auf die Motive des eigenen Gartens. Er malte das Sehen selbst und dessen Bedingungen, und darin gingen die Beobachtungen auf, die er einst unterwegs gemacht hatte. Seine Landschaftsansichten haben am Schluss etwas Geometrisches, Geordnetes, was quer zur chaotischen Gegenwart zu stehen scheint. Kultivierte Natur. So betrachtet blieb Liebermann auch als Bürger ein Widerspenst.

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