Interview Mischa Kuball „Zynismus ist die Vorstufe zur Kapitulation“

Der Künstler spricht über seine große Retrospektive in Wolfsburg, über die Inspiration durch Bücher und seinen Blick auf die Gegenwart.

 Mischa Kuball in der Wolfsburger Ausstellung.

Mischa Kuball in der Wolfsburger Ausstellung.

Foto: Marek Kruszewski

Das Atelier von Mischa Kuball am Fürstenplatz in Düsseldorf. Heller Hinterhof, offene Türen, eine Wolke von Nervosität. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt erstmals einen Querschnitt durch Kuballs Werk der letzten drei Jahrzehnte. „Referenzräume“ versammelt Rauminstallationen, Fotografien, Videoprojektionen, Dokumentationen. Kuball hat eben eine Zoom-Konferenz mit Wolfsburg beendet. Nun sitzt er an einem langen Schreibtisch, darauf Zeitungsausrisse, Neuerscheinungen, Kunstbände und sein Laptop.

Die Schau bietet einen Rückblick, oder?

Mischa Kuball Ja und nein. Das Schwierige ist, dass die Meisten mit meiner Arbeit eher einzelne Räume oder räumliche Situationen verbinden. Deshalb gab es eine kuratorische Verabredung: Jetzt versuchen wir, jemanden, der 1977 als Performer in einem Müllsack auf der Düsseldorfer Schadowstraße gelegen hat bis hin zu komplexen Räumen wie aktuell „Five Planets“ oder „Five Suns“ in die Gegenwart zu führen. Die Schau soll meine Arbeit summieren und aus der Höhle/Hölle ins Licht der Planeten führen. Das beschreibt auch meinen eigenen Fortgang von Lichteuphoriker zum Lichtskeptiker.

Sie werden oft als „Lichtkünstler“ bezeichnet. Licht impliziert Aufklärung. Verstehen Sie sich als Aufklärer?

Kuball Der Begriff „Lichtkünstler“ greift zu kurz. Gerhard Richter kann man auch nicht auf Farben und Lacke reduzieren, also auf das Material, das er benutzt. Als ich anfing, war Licht äquivalent zu Erkenntnis, das hat mich angetrieben. Aber inzwischen glaube ich, dass das Licht so viel zu Tage bringt, dass die Fülle an Information vielleicht sogar Erkenntnisgewinn eher verhindert als ermöglicht. Mit Licht kann man auch zerstören.

Ich habe Sie als sehr gegenwartsaffinen Menschen kennengelernt. Nervös im Sinne von aufmerksam und gespannt in Bezug auf alles, was jetzt passiert.

Kuball Früher hätte ich gesagt, ich brauche Langeweile um mich herum, um mich auf Themen einzulassen. Das hat sich gewandelt. Um mich herum ist eine Betriebsamkeit, die von mir nicht verhindert, sondern sogar mit beschleunigt wird: durch Debatten, Diskussionen und Auseinandersetzungen. In den vergangenen Jahren spielte das zweite Lesen eine große Rolle: Nochmal Texte, nochmal Materialien anschauen und fragen, ob es dabei bleibt, was ich als Zwölf- oder 45-Jähriger dabei gedacht oder empfunden habe.

Welche Texte sind besonders wichtig für Sie?

Kuball Platons „Politeia“ in Bezug auf die Rolle des transformierten Bildes. Die Welt des Kartographen und ihre literarische Transformation hat mir Arno Schmidt erschlossen. „Aus dem Leben eines Fauns“ habe ich mit zwölf gelesen. Das hat mich neugierig gemacht auf das, was hinter den Möglichkeiten der Konvention steckt. „Manhattan Transfer“ von John Dos Passos und „Tristram Shandy“ von Laurence Sterne: Das sind Bücher, die haben mich vom Sockel gehauen. Und später die drei Bände aus der „Sphärologie“ von Peter Sloterdijk. Ich habe mich nach der Lektüre gefragt, was ist meine Rolle in der Gesellschaft: bin ich zündelnd und rebellisch oder partizipatorisch?

Wie ist das, seinem früheren Ich wiederzubegegnen? Will man seinem eigenen Werk da nicht automatisch eine Zwangsläufigkeit geben, die es womöglich gar nicht hat?

Kuball Gegenfrage: Können wir heute Warhol sehen, ohne darüber nachzudenken, wie er gestartet ist? Können wir ihn heute noch ausschließlich unter dem Label Pop-Art sehen, ohne auf den queeren Aspekt einzugehen, also auf das Fluide zwischen den Geschlechtern, das er thematisierte? Die Kunst bleibt die Kunst. Aber die Welt um diese Kunst herum hat sich verändert und damit unser Blick darauf. Im Rezeptionsraum älterer Arbeiten kommt die Gegenwart immer als ein Fond dazu. Ich musste mich meinem Werk also selbst erneut annähern. Das fand ich interessant.

Haben Sie die Werke denn bewusst auf ihren Gegenwartsgehalt abgeklopft?

Kuball Mir war es kein Anliegen, es abzuklopfen und belastungsfest zu machen. Mir ist wichtiger, eine Abfolge von Räumen zu machen und diejenigen, sie sie durchschritten haben, danach zu fragen, was sie darüber denken. Zum Glück hat bisher niemand gesagt: Oh, das ist ja ein Werk von 1989! Es ist vielmehr die Kombinatorik. Es ist das Momentum: Du, ich, wir in diesem Raum in diesem Augenblick. Genau das ist die Wirkungsweise des Werks. Künstlerische Praxis ist eine Laborsituation mit offenem Ausgang: Spricht es mich an oder nicht?

Wie schauen Sie in die Zukunft. Logisch wäre ja, wenn aus dem Euphoriker zunächst ein Skeptiker wird und dann irgendwann ein Zyniker würde.

Kuball Zynismus ist eine Vorstufe zur totalen Kapitulation. Und zwar eine Kapitulation vor einem Kampf, dem man nicht ausweichen kann. Es geht mir darum, einen Standpunkt einzunehmen. Das heißt nicht, auf bereits gestellte Fragen und Antworten zu rekurrieren. Wir müssen auf die Gegenwart antworten, eventuell radikaler als erwartet. Ich mache etwas Gegenwärtiges mit dem Gepäck der vergangenen Werke. Die Reise geht weiter über die Notwendigkeit der Projekte. Menschsein heißt, in der Auseinandersetzung zu sein.

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