Europa Linz — auch Hitlers Kulturhauptstadt

Linz (RP). Linz ist neben Vilnius eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte in diesem Jahr. Bereits vor 70 Jahren wollte Nazi-Führer Adolf Hitler seine "Heimatstadt" zur Kulturmetropole machen: mit monumentalen Bauten und einer Kunstsammlung aus zumeist geraubten Kulturgütern.

Dass Kultur nicht bloß das feine Sahnehäubchen zum Alltagseinerlei ist, tischt uns zu Beginn dieses Jahres ausgerechnet Linz an der Donau auf. Denn die Kulturhauptstadt 2009 wagt — bevor es so richtig losgeht — erst einmal einen Blick hinter die Kulisse des schönen Scheins und verkündet ebenso unerschrocken wie unumwunden, dass die 200 000-Einwohner-Stadt "nicht zum ersten Mal im Brennpunkt europäischer Kulturpolitik" steht.

Jeder ambitionierte Korrektdenker zuckt bei solchem Wortlaut reflexartig zusammen, war es doch kein anderer als der Massenmörder Adolf Hitler, der Linz einst mit höchster Kulturförderung bedachte und das Städtchen an der Donau zu einer von fünf so genannten Führerstädten des Deutschen Reichs machte. Natürlich lässt sich das nicht unter den Teppich kehren. Die Linzer aber holen es vor und zeigen es her in ihrem Schlossmuseum. Sie wagen also — martialisch gesprochen — den Angriff nach vorn und bilden in dieser ersten Schau nur eins ab: dass die Kulturhauptstadt Europas vor fast 70 Jahren schon die "Kulturhauptstadt des Führers" gewesen ist. Dieser Makel aber schmückt das Linz des Jahres 2009; er ist seine Vignette vorbildhafter Aufklärung.

Bei diesem Ausflug in die Vergangenheit kann einem der Geschmack am Ästhetischen mitunter vergehen. Denn die Pläne waren wie so oft im platten NS-Verständnis monströs und die Geldmittel für den "Sonderauftrag Linz" dementsprechend fast unbegrenzt: Bis 1944 hatte man 99 Millionen Reichsmark investiert — vorrangig für die Kunst (die häufig aus dem enteigneten Besitz jüdischer Bürger stammte), für das geplante Führermuseum und den Bau der neuen Nibelungenbrücke samt zweier Kopfbauten. Die sind, weil die Nazis wahre Größe nicht anders denken konnten, recht einfallslos klassizistisch geraten. Die Kulturhauptstadt des Führers blieb eine Baustelle, doch sie war Hitlers liebste. Das Architekturmodell seiner Stadt nahm er im April 1945 sogar mit in den Führerbunker — vielleicht für ein bisschen Träumerei mitten im trostlosen Untergang.

Die Vorliebe Hitlers für Linz war nur zum Teil biografisch motiviert. Lediglich neun Jahre seiner Kindheit verbrachte er dort, und dennoch galt Linz als "Heimatstadt" des Führers; später einmal sollte sie sein Alterssitz, gar seine Ruhestätte werden. Die hohe Identifikation entsprang wohl eher der Psyche. Während das verhasste Wien dem jungen Künstler Niederlagen beschert und ihm den Eintritt in die Kunstakademie verwehrt hatte, blieb Linz ein Fleck unbeschwerter, geborgener Jahre. "Wenn die Vorsehung mich einst aus dieser Stadt heraus zur Führung des Reiches berief, dann muss sie mir damit einen Auftrag erteilt haben", rief er im März 1938 vom Balkon des Linzer Rathauses zu Beginn des Einmarsches in Österreich. Das Sinnbildliche sollte kein Ende nehmen. Zum ersten Projekt wurde der Abriss der Eisernen Brücke ersonnen, von Hitler als "hässlicher Steg" klassifiziert, sowie der Bau der Nibelungenbrücke. Dass aber die legendenhaften Nibelungen einst mit der schicksalhaften Donau-Überquerung ihrem Untergang entgegengezogen sind und an Etzels Hof samt und sonders erschlagen wurden, war zu dieser Stunde fatalerweise unbedacht. Die Brücke blieb ein schicksalhafter Scheideweg: Über sie führte nach Kriegsende 1945 der Weg von der russischen Besatzungszone in die amerikanische — flankiert von zwei schaurig-banalen Riesenplastiken, die Kriemhild und Siegfried zeigen sollten. Geschaffen hatte sie der Bildhauer Graf Bernhard von Plettenberg, der noch 1946 sich brieflich bei der Stadt erkundigte, ob er davon ausgehen könne, sein Lebenswerk für Linz fortsetzen und vollenden zu dürfen. Irgendwie schien der "gottbegnadete Künstler", so Hitler, die neuen Zeichen der Zeit noch nicht ganz erkannt zu haben. Die Linzer stellen ihre Vergangenheit aus, ohne dem Hitler-Tourismus Futter zu geben. Es reicht, dass die Gräber von Hitlers Eltern in Linz-Leonding wie von Zauberhand stets gepflegt sind. Die Begegnung mit der Vergangenheit verschafft Linz einen guten Eintritt ins Kulturhauptstadtjahr, einer Stadt, auf die man sich nicht nur wegen ihrer Namensendung so gern einen Reim auf Provinz macht. Linz hat damit zugleich ein paar Vorteile gegenüber der zweiten Kulturhauptstadt, Vilnius, die zuletzt durch Schlagzeilen mit der Kürzung des staatlichen Kulturhauptstadtbudgets um 40 Prozent von sich reden machte — auf umgerechnet 7,2 Millionen Euro. Essen wird 2010 mit Istanbul einen vermeintlich vitaleren Konkurrenten haben.

Es wird in diesem Jahr in Linz noch turbulenter zugehen, junger, spektakulärer und sinnlicher — wie schon an diesem Wochenende mit Klaus Maria Brandauer, der in einem Musiktheaterstück nach Fernando Pessoas Meisterroman "Das Buch der Unruhe" zu sehen ist. Eine Lehre aber hat uns Linz schon jetzt anschaulich gemacht: Kunst muss nicht immer nur rühmlich sein.

(RP)
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