Kunst im Büro der Kanzlerin Die Leere in Merkels Kanzleramt

Düsseldorf · Seit die Kanzlerin in eine Kunstdebatte geraten ist, lässt sie eine Wand in ihrem Büro lieber weiß.

 Angela Merkel mit Nolde-Gemälde „Blumengarten in Alsen“.

Angela Merkel mit Nolde-Gemälde „Blumengarten in Alsen“.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Deutschen umgeben sich am Arbeitsplatz gerne mit Kunst, das will ein Unternehmen für Bürobedarf in einer Umfrage herausgefunden haben. 60 Prozent der Befragten gaben an, Kunst im Büro zu haben; 71 Prozent glaubten, dass sie das glücklich macht. Das beliebteste Motiv der Deutschen ist laut der Studie übrigens die Küstenlandschaft. Und auch wenn in letzter Zeit viel von der Entfremdung zwischen Politik und Bürgern die Rede ist – glaubt man den Zahlen, muss man sagen, dass die Bundeskanzlerin in puncto Geschmack nah bei den Leuten ist.

Auch Angela Merkel umgab sich an ihrem Arbeitsplatz im Bundeskanzleramt über Jahre mit maritimer Landschaftsmalerei, mit Emil Noldes Gemälde „Brecher“ von 1936 nämlich. Glücklich gemacht hat sie das Kunstwerk, das eine Welle zeigt, zuletzt nicht mehr. Anfang April gab sie die Leihgabe sowie Noldes „Blumengarten in Alsen“ zurück, vorausgegangen war eine Debatte über ihre Büro-Ausstattung.

Ende März hatte Felix Krämer, Generaldirektor des Düsseldorfer Kunstpalasts, in einem Beitrag für die Zeitung „Politik und Kultur“ gefragt, ob das Büro der Kanzlerin der geeignete Ort für zwei Werke des Antisemiten, Rassisten und überzeugten Nationalsozialisten Emil Nolde sei; zahlreiche Medien griffen Krämers Einwurf auf. Und obwohl sie seit Monaten, wenn nicht seit Jahren von Noldes Nazi-Vergangenheit gewusst haben muss, wie der „Tagesspiegel“ jüngst rekonstruierte, reagierte die Kanzlerin erst jetzt. Sie entschied schnell und pragmatisch wie beim Atomausstieg. Nolde? Weg damit! Die Kanzlerin sei zu dem Ergebnis gekommen, einstweilen die weiße Wand „schön zu finden“, sagte ein Sprecher.

Konsequent habe die Kanzlerin agiert, als sie die Bilder zurückgeben ließ, sagt Kunsthistoriker Krämer heute. Problematisch sei indes, was folgte, als Merkel entschied, keine Kunst mehr zu wollen, „als wäre das die sichere Nummer“. Merkel nehme hier eine „kunstablehnende Haltung“ ein, so Krämer, „nach dem Motto: Die Kunst macht Ärger, dann verzichten wir ganz auf sie“.

Derzeit befindet sich in Merkels Büro nur Altbekanntes: ein Porträt Konrad Adenauers von Oskar Kokoschka, eine Fotografie Helmut Kohls, Michael Gorbatschows und George Bushs von Andreas Mühe sowie ein Kleinformat, ein Geschenk des malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita, wie ein Regierungssprecher mitteilt. Ersatz für Nolde gibt es nicht.

Interessant ist die Angelegenheit deshalb, weil Merkels Büro nicht vergleichbar ist mit dem Arbeitszimmer im Reihenhaus einer Oberstudienrätin. Als Regierungschefin empfängt Merkel in ihrem Amtsbüro Besuch aller Art, auch Staatsgäste. Es ist ein politischer Raum. Jeder Satz und alles, was dort präsentiert werde, sei mit Bedeutung aufgeladen, meint Krämer. „In Merkels Büro ist jede Geste eine politische Geste, auch nichts aufzuhängen, ist eine politische Aussage.“

Ob Merkel die Leerstelle, wo die Noldes hingen, in den verbleibenden zwei Jahren ihrer Kanzlerschaft noch einmal mit Inhalten füllen möchte, ist ungewiss. Kunsthistoriker Krämer meint, Merkel habe die Gelegenheit, die Geschichte ins Positive zu wenden, in dem sie jenen eine Plattform gebe, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stünden. Sie könne etwa Arbeiten von Künstlern aufhängen lassen, die in Konzentrationslagern gestorben oder vertrieben worden seien. Das wäre ein starkes Signal für die Kunst und für eine Haltung, die nichts verschleiere.

Eine solch bewusste Setzung nahm jüngst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue vor. Dort hängen nun in der Eingangsgalerie, durch die alle Besucher müssen, Arbeiten von ostdeutschen Künstlern, die sich in der DDR nicht unterkriegen ließen. Die Ausstellung möchte Steinmeier als Verbeugung verstanden wissen. Der Bundespräsident hat die Macht der Bilder offenbar erkannt.

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