Ausstellung in der Kunstsammlung NRW Zu Besuch in Schlingensiefs Kopf

Düsseldorf · Die Kunstsammlung NRW zeigt die Installation „Kaprow City“ von Christoph Schlingensief. Sie führt schmerzlich vor Augen, wie sehr der 2010 gestorbene Künstler fehlt.

 Aino Laberenz und Susanne Gaensheimer vor der Installation „Kaprow City“.

Aino Laberenz und Susanne Gaensheimer vor der Installation „Kaprow City“.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Das K20 ist im Grunde gar kein Museum mehr, es ist eine Ladestation, und wer es betritt, kann neue Energie tanken. Gucken und rumgehen genügt schon, der Rest passiert von alleine: zerebrale Stimulation. Heraus kommt man als Glühwürmchen mit leuchtenden Gedanken.

 „Kaprow City“ heißt die raumgreifende Installation, die sie in der Kunstsammlung NRW zum ersten Mal in Deutschland zeigen. Christoph Schlingensief hat sie 2007 gestaltet, und dass Besucher sich zunächst vor den Kopf gestoßen und überfordert fühlen, gehört zum Konzept. Das Werk ist still, es schweigt, dennoch schreit es immerzu: „Mach dir einen Reim!“.

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 Ursprünglich war „Kaprow City“ eine begehbare Installation, die Schlingensief als sein letztes Theaterstück 2006 an der Berliner Volksbühne konzipierte. Inspiriert wurde sie von dem Aktionskünstler Allan Kaprow. Die Zuschauer wurden in Gruppen unterteilt und in das Bühnenbild geführt, dort trafen sie auf die Schauspieler, die sie mit Vollkontakt in ihr Spiel einbezogen. Für die Einzelausstellung „Querverstümmelung“ im Migros-Museum für Gegenwartskunst in Zürich baute Schlingensief das Objekt um zu einem  eigenständigen Kunstwerk. Er nahm Requisiten weg, setzte Filmausschnitte ein, verschloss Zugänge mit Folien und machte es zu einem vom Künstler unabhängigen Sinnbild für eines seiner wichtigsten Prinzipien, der Transformation.

 Das ist jetzt also keine Bühne mehr, sondern die Inszenierung einer Bühne, und darauf zu sehen ist die Künstlerbiografie Schlingensiefs. Doppellbelichtete Super-8-Filme des Vaters, Szenen seines eigenen Filmprojekts über den Tod von Lady Di. Ein Plakat des Kinofilms „Freaks“, eine Doku über die Entstehung des Theaterstücks, dem das Objekt einst als Basislager diente. Eine Kugel aus der Bühnenshow „100 Jahre CDU“. Und Graffiti, Schriftzüge, Buchstabenfolgen, die die Arbeit wie einen endlosen Notizzettel wirken lassen: „Ich will nicht mehr beten“, „Wo ist Gott?“

 Es ist denn auch ein bisschen so, als wage man sich vor ins Gehirn des 2010 an Krebs gestorbenen Christoph Schlingensief. Des romantischen Punks, des gläubigen Profanisierers, der liebevollen Nervensäge. Erkenntnis durch Zumutung: als tauche man per Rückwärtsrolle ein in dessen Welt. „Ich hätte seine Stimme heute gerne noch“, sagt Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung. Sie engagierte Schlingensief einst für den mit dem Goldenen Löwen geehrten deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig 2011. Sie hatte mehrere Künstler im Sinn, die dafür in Frage gekommen wären, erzählt sie. Sie wollte jeden besuchen, aber Schlingensief war der erste, und danach fuhr sie gar nicht mehr zu den anderen. Er sei so überzeugend, gut und wichtig gewesen. „Ich finde, dass seine Stimme und sein künstlerischer Geist heute fehlen. Ich vermisse eine Künstlerfigur, die in der Lage ist, so umfassend und tiefgreifend das aufzugreifen und künstlerisch zu kommentieren, was uns gesellschaftlich und politisch beschäftigt. Radikal kritisch, mit Humor und starkem sozialem Anliegen. Aus einer tiefen Menschenliebe heraus.“

 Die Installation dockt an die aktuelle Beuys-Ausstellung im K20 an. An Beuys arbeitete Schlingensief sich zeitlebens ab.  „Auch Christoph war jemand, der nicht locker gelassen hat“, sagt Schlingensiefs Witwe und Nachlassverwalterin Aino Laberenz, selbst Bühnen- und Kostümbildnerin. „Er war ein Unruhestifter.“

 Das Problem bei der Ausstellung, die Laberenz mit ermöglichte: Es gibt kaum ein geschlossenes Werk von Schlingensief, das sich zu diesem Zweck eignen würde. Er selbst war ja essentieller Bestandteil der meisten Aktionen, Installationen, Performances; deren Herz, Kopf und Gesicht. Besteht die Gefahr, dass folgende Generationen gar nicht mehr verstehen werden, was diesen Kerl so auf- und anregend gemacht hat?  Laberenz schüttelt den Kopf. „Wie Beuys ist Christoph ein Künstler, der sich auf eine klare politische und soziale Jetzt-Zeit bezieht. Diesen akuten Zugriff in seiner Arbeit findet man als Zuschauer leicht. Christoph war direkt an der Zeit, aber gleichzeitig eben auch seiner Zeit voraus. Er hat immer wieder sehr existenzielle Themen bearbeitet. Sich an Figuren, Geschichte und Systemen abgearbeitet. Zuschauer finden da schnell einen Andockpunkt.“

 Neben „Kaprow City“ hat Kuratorin Kathrin Beßen ein Informationszentrum aufgebaut, das Auskunft über Entstehung und Hintergründe der Arbeit gibt. Aber man sollte nicht den Fehler machen, das alles erklären zu wollen. Es hieße, sich um die Wirkung und das größte Vergnügen zu bringen. Das meiste, was Schlingensief machte, war ja Versuch, Experiment und Vorstoß. Er warf dem Publikum etwas hin, weil er ihm etwas zutraute. Es sollte die Gedanken übernehmen, die im jeweiligen Werk steckten. Sie weiter denken, entwickeln und für sich deuten. Etwas daraus machen.

 „Christoph hat überrascht“, sagt Aino Laberenz. „Ich könnte nie sagen: Er hätte jetzt das und das gesagt oder gemacht. Ich kannte ihn so gut, dass ich weiß, dass ich nicht wissen kann, was er gemacht hätte. Er war immer in Bewegung. Es gibt ja nicht nur die eine Wahrheit.“

 Ein Werk wider besseres Wissen also. Es beseelt mit angenehm widerständigem Spirit. Es macht Lust darauf, am Schnürchen dieser Denkbewegungen durch die eigene Gegenwart zu gehen.

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