Unterwegs mit Thomas Struth Fotokünstler im Forschungslabor

Hilden (RP). Der international renommierte Vertreter der Düsseldorfer Becher-Schule will mit visuellen Strukturen hochkomplexe Konstruktionen wiedergeben. Nächsten Monat widmet ihm die NRW-Kunstsammlung eine große Einzelausstellung.

 Thomas Struth bei der Arbeit, bei Qiagen in Hilden.

Thomas Struth bei der Arbeit, bei Qiagen in Hilden.

Foto: Dan Hirsch

Neun Uhr am Werkstor von Qiagen. An der Drehtür herrscht morgendliche Betriebsamkeit, im international führenden Unternehmen für Life-Science spricht man deutsch und englisch. Vorstandsvorsitzender Peer Schatz rauscht im silberfarbenen Sportwagen am Eingang vorbei. Er winkt. Ganz ruhig packt der Gast auf dem Besucherparkplatz die Fotokoffer aus, es sind so viele, dass zwei Mann schwer zu tragen haben.

Thomas Struth ist für einen Tag angemeldet, der international renommierte Fotograf, der Düsseldorf und der Fotografenschule von Bernd und Hilla Becher zugeordnet wird, indes seit längerem in Berlin lebt. Er wird empfangen, eingekleidet, und fortan wird jeder seiner Schritte begleitet. Aufmerksam und wohlwollend agiert die Kommunikationsabteilung.

Potenz der Moderne

Ein optischer Eindringling ist der Künstler jedenfalls, ein eigensinniger Forscher, der ansitzen wird wie ein Jäger auf der Pirsch, die Linsen schärfen, die Blende wählen wird und der in Geheimnisse eindringt. Über viele Jahre hatte es Struth in die weite Welt gezogen, jetzt, sagt er, "bin ich mal in Deutschland unterwegs. Denn High-Tech-Forschung könnte überall sein."

Das jüngste Kapitel seiner Arbeiten behandelt die Potenz der Moderne, Technologie und Spitzenforschung. Ergründen will der 56-Jährige, wie visuelle Strukturen auf kondensierte Art hochkomplexe Konstruktionen wiedergeben. Dazu reiste Struth 2007 erstmals nach Korea, fotografierte ein Jahr später in Cape Canaveral, schließlich im Garchinger Max-Planck-Institut. Es ist ein gedanklicher Bogen zu schlagen - von der Konstruktion zur Imagination.

Nun ist er erstmals an Grenzen gestoßen, da angelangt, wo das menschliche Auge nicht mehr eins zu eins sehen kann, was geschieht, sondern der Mensch dank Sehen erahnen soll. Struth sagt, das Höchstmaß an menschlicher Anstrengung interessiere ihn, Überzeugung, Organisation, die politische Dimension - die Hybris. Das amerikanische Space-Shuttle-Programm habe etwas Episches, vergleichbar dem Bau einer mittelalterlichen Kathedrale. "Beides sind komplizierte Strukturen, die Menschen von Hand erschaffen."

Fotoshooting kann man so etwas kaum nennen

Nun also Qiagen. Ein Labor, in dem molekulare Nachweisverfahren für Erbinformationen laufen. Die Angestellten werden in die Pause geschickt, menschenleer soll es sein. Der Effekt, den die Tätigkeiten der Mitarbeiter haben, stellt sich nicht dar. Das ist es, was Struth reizt, die Komplexität des Tatorts, der Gedanke, das Geheimnis.

Beinahe wortlos baut der Fotograf seine eigene Versuchsanordnung auf, ihm zur Hand geht ein Assistent. Fotoshooting kann man so etwas kaum nennen. Sorgfältig wird die behäbige Plattenkamera aufgestellt und immer wieder verrückt. Visuelles Aufräumen ist eines der Anliegen. Thomas Struth setzt die Lesebrille auf und greift zur Mattscheibenlupe. "Sehen sie mal, wie wenig man sieht", sagt er. Stimmt. Das Bild steht seitenverkehrt auf dem Kopf, ist schummrig.

Jetzt hat er sich unter ein schwarzes Tuch begeben, der Mann wankt hin und her in seinem Versteck, ist versunken. "Die Wintersonne ist zu gelb", sagt er in die Stille des Raumes, also lässt man die Jalousien herunter, die hakeln, weil sich in ihnen ein offenbar liebeskranker Vogel verheddert hat. "Sehen Sie hier, wie sich die Ebenen zusammenfügen", sagt er und weist auf den Durchblick von einem Labortisch auf die dahinterliegenden Tische. "Die Tischkanten müssen parallel verlaufen. Das Wichtigste ist: Dass sich

Objekte nicht so formal miteinander verbinden, dass es keinen Sinn ergibt." Das habe er von seinem Lehrer Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie gelernt, diese Überschneidungsgeschichte war sein Spezialgebiet. "Die Schränke sind nicht interessant, ich brauche nur einen Streifen davon an der Bildkante", sagt er und schickt den Assistenten los, "schieb' mal die Maus nach links, halt! Ich muss drei Dimensionen in zwei zusammenbringen und zwar so, dass sich das Ganze aufschlüsselt."

Vier Stunden ohne Durchatmen

Das Licht stimmt immer noch nicht, "der Film ist eine Art Messgerät", doziert Struth, "ich mag kein Matschlicht." Die Jalousien gehen wieder hoch. "Bei dieser Situation hat man ein Archiv von Bildern im Kopf, ich bin mir bewusst, dass die Bilder der nördlichen Halbkugel alle aus einem Speicher bestückt sind. Der Labortisch des Wissenschaftlers von Holbein spielt mit."

Elf Uhr ist es, als Struth das erste Mal auslöst. Weitere Fotosfolgen, weitere Prozesse des Prüfens und Verwerfens. Manchmal stöhnt der Mann unterm silberfarbenen Tuch leise. "Ist doch schön so", sagt der Assistent, "wie eine Bühne." Struth stimmt zu mit einem leisen Ja.

Vier Stunden ohne Durchatmen, ohne einen Schluck Wasser. Die Zeit steht. Im zweiten Labor geht Struth breitbeinig in die Knie, kneift ein Auge zu, checkt immer neu die Ausschnitte. "Wenn man es flächig anlegt, wird es so etwas wie ein Buch, das man von links nach rechts lesen kann." An einer Enzyklopädie seiner Generation arbeitet er, vielleicht an einer Gebrauchsanweisung unserer Zeit. Struth sagt: "Die Welt wird immer komplizierter, was wir intuitiv verstehen, können wir nicht mehr sehen. Die Welt vibriert im Untergrund."

Das Leben in der Wissensgesellschaft setze die Gedanken global auf Reisen, Struth spricht vom "Maschinenraum der Moderne als Gehirnabdruck". Wir blicken auf diese rätselhaften, eigentlich banalen Laborplätze. Im Radio läuft leise ein alter Beatles-Song, "I want to hold your hand". Das ist nostalgisch, lange her, fast eine Ewigkeit. Thomas Struth lächelt, "das ist kein schlechter Moment, oder?"

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