Zeitlose Kritik an Weihnachten "Festtage sind Fresstage"

Düsseldorf (RP). Ohne Zweifel zählt er zu den großen deutschen Predigern des Barock: Abraham a Sancta Clara (1644–1709), dessen Todestag sich jüngst zum 300. Mal jährte. Noch heute faszinieren seine Sprachmacht und seine Fabulierfreude, wie es auch der nachfolgende Text zeigt. Und wie zeitlos seine Kritik sein kann, dürfen wir selbst an den Weihnachtstagen erfahren:

 Die Predigt wurde dem Band "Hui und Pfui der Welt — Predigten und Schriften" entnommen.

Die Predigt wurde dem Band "Hui und Pfui der Welt — Predigten und Schriften" entnommen.

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Düsseldorf (RP). Ohne Zweifel zählt er zu den großen deutschen Predigern des Barock: Abraham a Sancta Clara (1644—1709), dessen Todestag sich jüngst zum 300. Mal jährte. Noch heute faszinieren seine Sprachmacht und seine Fabulierfreude, wie es auch der nachfolgende Text zeigt. Und wie zeitlos seine Kritik sein kann, dürfen wir selbst an den Weihnachtstagen erfahren:

"In summa ist es leider schon so weit kommen, dass bei den Christen die mehriste Fasttäge in Fresstäge verkehret werden. Man siehet ja, dass an einem Festtag fast alle Kuchen rauchen, alle Pfannen schwitzen, alle Wasser sieden, alle Bräter laufen, alle Rost glühen, alle Schüssel tragen, alle Teller leiden, alle Tafeln prangen, alle Keller geben, alle Kandeln schöpfen, alle Becher hupfen, alle Gläser schwimmen, alle Mäuler saufen, alle Gurgeln schlucken, alle Füß wacklen, alle Köpf rumsen.

Da trinkt ein Burger, dort sauft ein Bauer, da ludert ein Gesell, dort würgt ein Knecht, da stolpert ein Junger, dort fällt ein Alter, da leihnet der Sohn, dort liegt der Vater, da krabbelt der Herr, dort kriecht der Diener, da gaumetzt der Richter, dort schnarchet der Geschworne. Beim ,Guldenen Lämml' trinkt der Meister Wolfgang, beim ,Guldenen Wolfen' sauft der Meister Lambert, beim ,Blauen Hechten' schwimmt der Fischer, beim ,Schwarzen Ochsen' ludert der Fleischhacker oder Metzger, beim ,Weißen Hirschl' zecht der Jäger, beim ,Grünen Flederwisch' mäßlen etliche alte Weiber.

Da gibt's Viertelräusch, halbe Räusch, ganze Räusch, dürmische Räusch, verliebte Räusch, witzige Räusch, empfindliche Räusch, stolze Räusch, säuische Räusch, Burgerräusch, Bauernräusch, Gutscherräusch, Bettlerräusch, Narrenräusch etc. Bald im Wein, bald im Bier, bald im Branntwein, bald im Möt, bald im Tiroler Wein, bald im Österreicher Wein, bald im Neckarwein, bald im Frankenwein, bald im Rheinwein, bald im hungarischen Wein, bald im welschen Wein, bald im spanischen Wein etc. Das Aufdinggeld, auch das Freisprechengeld, auch das Strafgeld, auch das Trinkgeld, auch das Leikaufgeld, auch das Einkaufgeld, auch das Abkaufgeld, auch das Spielgeld, auch das Ladgeld, auch das Büchsengeld, was Namen es immer hat, das wird gespart auf den Feiertag, dort muss versoffen werden.

Ihr Weinwirt, wann löset ihr das meiste Geld? Am Feiertag. Ihr Bierzäpfler, wann ziehet ihr den meisten Gewinn ein? Am Feiertag. Ihr Lebzelter und Mötsieder, wann spickt ihr am besten euren Beutel? Am Feiertag. Ihr Sudler und Garköch, wann habt ihr den besten Gewinn? Am Feiertag. Ihr Brätelbrater und Krapfenbacher, wann gehet euch euere schmotzige War zum Besten ab? Am Feiertag. O festum infaustum! O festum infestum! O Festtag — Fresstag!"

(RP)
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