Interview: Raimund Stecker Fall Gurlitt bleibt Lehrstück über den Tod hinaus

Düsseldorf · Ein Buch über das Gespräch dreier Fachleute beleuchtet aus juristischer und kunsthistorischer Sicht den großen deutschen Kunstskandal.

 "Ein letzter Gruß" an Cornelius Gurlitt - die im Mai 2014 noch blumenbeschmückte Familiengrabstätte auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof.

"Ein letzter Gruß" an Cornelius Gurlitt - die im Mai 2014 noch blumenbeschmückte Familiengrabstätte auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof.

Foto: dpa, mg axs

Der Fall Gurlitt beschäftigt die Kunstszene, die Politik und die Medien seit fast einem Jahr. Im November 2013 hatte das Magazin "Focus" enthüllt, dass die Staatsanwaltschaft in die Schwabinger Wohnung des als weltfremd charakterisierten Kunstsammlers eingedrungen war und seine Werke beschlagnahmt hatte, weil sie im Verdacht standen, Nazi-Raubkunst zu sein. Seit Gurlitts Tod im Mai dieses Jahres spricht man nicht mehr viel über den Menschen. Aber der Fall ist nicht erledigt. Drei Experten, die den Kunstmarkt, die Kunstgeschichte und die Gesetze kennen und aus ihrer Sicht bewerten können, haben den Fall mit dem Blick aufs Allgemeine beleuchtet, als Musterfall für die Behandlung vergleichbarer Funde und für den Umgang mit Raub- und Beutekunst auch in privatem Besitz. Ein Gespräch mit Raimund Stecker, einem der drei Autoren.

Mit welcher Absicht haben Sie dieses Büchlein herausgebracht? Ist nicht längst alles geschrieben worden über Gurlitt?

Stecker Es machte Sinn, sich mit einem Juristen und einem Kunstmarktspezialisten zusammenzutun, um eine Diskussion zu befeuern, die noch lange nicht beendet ist. Wir wollten mit verschiedenen Ansichten und aus verschiedenen Interessenslagen heraus den Fall Gurlitt beleuchten und einen Zwischenstand der Diskussion markieren. Denn es wurde in unseren Augen zu wenig miteinander geredet, dafür aber viel zu schnell öffentlich ge- und verurteilt. Stefan Koldehoff als Kenner der Restitutionslagen, der Jurist Ralf Oehmke mit seinem Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe nicht immer rechtsstaatlich gehandelt, und ich als Kunsthistoriker haben so versucht, Licht in den Fall zu bringen und die Personen Hildebrand und Cornelius Gurlitt - den ich leider nicht mehr kennengelernt habe - vor einer weiteren öffentlichen Denunziation zu bewahren. Denn die Inkriminierungen von Vater und Sohn Gurlitt waren zumindest extrem überzogen, was der Künstler Marc Bauer zurzeit in einer Ausstellung in Aarau und demnächst in Essen aufzeigt.

Sie meinen, beide wurden denunziert - der Junior und der Senior?

Stecker Ja! Gerade über Hildebrand Gurlitt muss man wissen: Er hat zweimal seinen Job verloren, war "Vierteljude", ist im Dritten Reich nicht aus Nazi-Deutschland geflohen, sondern hat sich stattdessen subversiv ein ökonomisches Auskommen durch seine Liebe zur Avantgardekunst geschaffen. Wenn sich dieser Mensch dann nach 1945 mit der Kunst, die er angesammelt hat, vor den Alliierten rechtfertigen muss, vermag ich mir nicht vorzustellen, dass er noch Vertrauen in eine staatliche Instanz verspüren kann - weder zu einer deutschen noch zu einer amerikanischen.

So äußerte sich Gurlitt zu dem Kunstfund
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So äußerte sich Gurlitt zu dem Kunstfund

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Foto: afp, WB/bb/dg

Wollen Sie ihn in Schutz nehmen?

Stecker Dieser Mann ist zwölf Jahre lang mit seiner Kunstbesessenheit, seiner auch jüdischen Herkunft sowie seinem zweimaligen Gescheitertsein als Museumsmann fraglos ein Getriebener gewesen. Über einen Menschen, der nach dem Krieg, in beginnenden Friedenszeiten also, vor allem versucht hat, endlich seine Passion zu leben, endlich mit den avantgardistischen Künstlern, für deren Werk er sich zutiefst eingesetzt hat, öffentlich zu leben, und der den Düsseldorfer Kunstverein zur Blüte trieb - über ihn den Stab zu brechen, steht uns Nachgeborenen nicht an. Ihn begrifflich als "Nazi-Kunsthändler", mithin sprachlich in die Nähe von "Nazi-Schergen" zu stellen, ist Denunziation.

Aber es geht ja wesentlich um die Frage des Besitzes. Was ihm gehörte oder eben auch nicht gehörte, ist im Nachhinein sehr schwer zu klären bei all den Kriegswirren.

Stecker Diese Frage ist bei der Druckgrafik schwer, bei Unikaten hier und da jedoch gut zu klären. Nun bin ich nicht in der Kommission, aber wenn es stimmt, dass acht Unikate restitutionswürdig sind, dann rechtfertigen diese acht Werke nicht diese Kampagne gegen Vater und Sohn. Auf der anderen Seite, da hat Stefan Koldehoff recht, hat der Fall Gurlitt eine Sensibilisierung bewirkt für Raubkunst - und das ist ohne Frage positiv. Ich hatte als Museumsmann selber mit Anspruchsnehmern von möglicherweise zu restituierenden Bildern zu tun. Zu gerne hätte ich sehr pragmatisch und schnell eine Lösung gefunden. Mein Vorschlag war, dass das jeweilige Werk in öffentlichem Besitz bleibt, wenn eine Herausgabe nicht nachdrücklich gewünscht wird. Den zwischen 1933 und 1945 enteigneten Opfern oder auch ihren Erben würden angemessene Zahlungen angeboten und zeitnah ausgezahlt, damit sie noch zu Lebzeiten etwas davon haben. Wir haben doch auch eine moralische Verpflichtung!

Der Jurist in Ihrer Runde hat vor allem die Staatsanwälte kritisiert. Wie lauten die Vorwürfe?

Stecker Aus Ralf Oehmkes Sicht hat die Staatsanwaltschaft nicht auf dem Boden unserer Gesetze gearbeitet. Wie kann man eine private Kunstsammlung über Monate konfiszieren? Und wenn die Vertreter unseres Staates einen Kunstsammlungsbesitzer wie Cornelius Gurlitt aufsuchen, in seine Schwabinger Wohnung eindringen und ihn antreffen, wie sie ihn angetroffen haben - nämlich über ihr Eindringen extrem verstört -, hätte man von einem staatlichen Organ erwarten müssen, dass ein Kunstsachverständiger hinzugezogen wird. Und dieser hätte dann darauf hinweisen müssen, dass es hochsensible, introvertierte Menschen gibt, die fern unseres Alltags leben, die aber so mit Kunst umgehen, wie man es seit Jahrhunderten getan hat - nämlich mit tiefer Zuneigung. Man kann doch von einer staatlichen Stelle erwarten, dass sie diese Komplexität erkennt und berücksichtigt.

Warum gab es damals einen Durchsuchungsbefehl?

Stecker Es gab eigentlich keinen Grund, außer dem, dass vielleicht der Verdacht der Steuerhinterziehung bestand, mit dem man ja momentan ausgesprochen gut Karriere machen kann. Und die Medien spielen mit, und zwar auf der staatlichen Seite stehend, nicht auf der der Bevölkerung. Ich meine, wir sind der Staat, und wir dürfen nicht Angst haben müssen vor unseren Vertretern.

Sie kritisieren auch den Umgang der Medien mit Cornelius Gurlitt.

Stecker Der "Focus" hat es richtig gemacht. Er hat den Fall Gurlitt, der schon über ein Jahr unter der Bettdecke der Ermittlungen schlummerte, aufgedeckt. Wie er es aber getan hat, ist diskutabel. Und was dann kam, ist nicht mehr nachvollziehbar. Aus dem Avantgardeliebhaber Hildebrand Gurlitt wurde ein "Nazi-Kunsthändler" und aus seinem Sohn Cornelius ein "Phantom". Die Stigmata sind dann in der Welt. Cornelius Gurlitt ist am 6. Mai im Alter von 81 Jahren gestorben. Der Fall liegt juristisch und politisch noch unerledigt auf dem Tisch.

Was ist das Beunruhigendste, das übrig bleibt nach all Ihren Recherchen?

Stecker Für Düsseldorf - das ist natürlich Spekulation - erscheint es fatal, dass die Sammlung nicht in die Stadt kommt. Denn wenn sich Cornelius Gurlitt in der Landeshauptstadt in der Familiengruft beisetzen lässt, ist ja der Gedanke nicht abwegig, zu vermuten, dass auch ein Düsseldorfer Museum die Sammlung hätte erben können.

Ist der Fall Gurlitt nicht auch ein Lehrstück?

Stecker Das Positive an dem Fall ist, dass auf höchster politischer Ebene eine hohe Sensibilisierung eingetreten ist für Raubkunst und für die Verpflichtungen, die uns die Washingtoner Erklärung mitgibt. Hoffentlich wird diese nun endlich auch mit Leben erfüllt. Und wenn unsere Kulturstaatsministerin, Frau Grütters, es schafft, dass auch die israelischen Museen sich des in Deutschland angehäuften Wissens bemächtigen wollen, dann - so muss man sagen - hat der Fall Gurlitt auch eine enorm positive Seite. Das Negative aber ist, dass das nur über persönliche Denunziationen erwirkt worden ist. Nämlich dadurch, dass ein Mann wie Cornelius Gurlitt öffentlich bloßgestellt wurde, wie es kein Mensch verdient hat. Er war kein Phantom, sondern ein introvertierter Kunstliebhaber - und nie hätte man ihn eindimensional immer nur als Sohn eines Nazi-Kunsthändlers stigmatisieren dürfen.

(RP)
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