Kulturhauptstadt Europa 2011 Europas Kultur blickt nach Turku

Turku (RP). Die westfinnische Hafenstadt ist gemeinsam mit der estnischen Hauptstadt Tallinn Kulturhauptstadt Europas 2011. Das Programm besteht aus 150 Projekten. 50 Millionen Euro kostet das Kulturhauptstadtjahr, 18 Millionen bringt die Stadt selbst auf.

Das sind Turkus Sehenswürdigkeiten
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Turku ist keine Aphrodite an der Ostsee, sie ist eher ein Entlein, aber man soll die Städte nicht nach ihrer Pracht beurteilen, ihrem Glamour, ihrer Exaltiertheit, sondern nach ihrer leisen Eigenart, nach ihrem Zeug zur Liebenswürdigkeit.

In Turku ist eine Straße eine Straße, keine Avenue. Wer durch Turku spaziert, guckt sich verdutzt um, er findet einen netten Fluss mit verheißungsvollem Namen — den Aura —, einen steinalten Dom und eine grimme Burg, findet Zeugnisse der unschlagbaren finnischen Tristesse, aber er fragt sich: Wie konnte Turku nur Kulturhauptstadt 2011 werden? Was hat Turku, das andere Städte nicht haben?

Das Prozedere der Findung von Kulturhauptstädten ist, spotten die Kritiker, so gestrickt, dass irgendwann auch Eschweiler und Clausthal-Zellerfeld drankommen werden. Jeder darf mal. An Turku führte allerdings kein Weg vorbei, weil nach Helsinki im Jahr 2000 das Gesetz der Serie wieder die Finnen traf. Sie hätten Tampere wählen können oder Oulu, sogar Lahti oder Espoo, aber aus Gründen historischer Verankerung und Tröstung der Wunden musste es Turku sein, dieses blasse Licht mit seinen knapp 180 000 Einwohnern, das sich im Südwesten Finnlands schier gen Schweden reckt und nie das Trauma überwunden hat, dass Helsinki zur finnischen Hauptstadt erklärt wurde und in Tampere mittlerweile mehr Leute leben. In Turku lebt man mit einem trotzigen Gedächtnis an bessere Zeiten. Der Turkuer sagt, als Turkuer könne man nur geboren werden, aber nie als Fremder zu einem werden.

Charmantes Städtchen

Trotzdem hat es Turku erwischt, und nun zeigt diese schüchterne, trotz ihrer Universität zur Betulichkeit neigende Stadt, welcher Charme in ihr steckt. Natürlich ist der finnische Digitalismus der Nokia-Moderne auch hier fidel vertreten — die Stadt und ihre Kulturschaffenden spielen via Internet und unentwegter Live-Schalte dauernd interaktiv mit sich selbst. Und da Turku nun unvermeidlich im 21. Jahrhundert angekommen ist, heißt ein Saunapark in der Innenstadt direkt "SaunaLab". In der Tat geht man dort derzeit öffentlich saunieren, der Finne ist ja vor keiner Kälte fies, und wer sich lauschiger, nicht coram publico abhärten will, der fährt halt raus in die westfinnischen Schären, wo demnächst das Festival "Contemporary Art Archipelago" anhebt. Diese Insellandschaft zwischen Schweden und Finnland ist womöglich der kostbarste Turkuer Schatz, ein insularer Juwelenhort. Wer Turku gemächlich von Grisslehamn im ostschwedischen Norrtälje aus in kleinen Fähren-Hüpfern über die entzückenden Åland-Inseln bereist, der erobert dieses Turku in der sich streckenden, sich aufhebenden Zeit. Man kann natürlich auch fliegen, aber angesichts der tuckernden, dampfenden Fähren gibt es keine schönere Anreise als diese.

Åbo heißt Turku auf Schwedisch, was beinahe hochherrschaftlich klingt. Obwohl sich Turku durch und durch finnisch fühlt, leben in dieser Region Finnlands die meisten Schweden. Alle Straßen hier sind zweisprachig beschildert, in den Restaurantschiffen auf dem Aura liegen alle Speisekarten zweisprachig aus. Derzeit braucht man viel Beleuchtung, denn in Finnland ist es lang dunkel tagsüber, weswegen die Kulturhauptstadt gleich einen Programmpunkt daraus gemacht hat: "Die 876 Farbtöne der Dunkelheit", die "Stille als eine positive Ressource" preist. Das muss man als Zentraleuropäer nicht verstehen, aber Kennzeichen Turkus ist gewiss auch die leise Lässigkeit, dieses bedächtig getäfelte Dasein, das sich am stärksten in einem Freiluftmuseum präsentiert, welches die städtischen Zünfte in historischen Gebäuden und Trachten aufleben lässt.

Historische Vernetzung

Das hat etwas Geschichtspusseliges, dass der alte Muff gehörig aufstaubt, und weil in Turku die Kulturhauptstadtplaner fürchteten, dass ihnen aus Mitteleuropa dieses Freiluftmuseum um die Ohren gehauen wird, haben sie noch weiter in die Geschichte der Stadt gegriffen und das Jahr 1827 mit dem Jahr 2011 vernetzt. 1827 gab es einen verheerenden Brand in der Stadt, bei dem kein Stein auf dem anderen blieb, und diesem Inferno widmet sich jetzt ein eigenes Heavy-Metal-Musical. Das ist aber noch gar nichts gegen den "Akkordeon-Ringkampf", der die Musikalität von Kampfsportarten unter Beweis stellen will. Sphärenhaft gibt sich im März "Energo", eine futuristische Reise in die Evolution des Universums.

Turku will nach 2011 reichen Ertrag ernten. 50 Millionen Euro kostet das Kulturhauptstadtjahr, 18 Millionen bringt die Stadt selbst auf. Zwei Millionen Besucher werden erwartet. Großen Anteil haben geistige Manöver in Schulen, Altenheimen und Kindergärten, wie überhaupt die Idee des Kulturhauptstadt-Jahres tief in das städtische Leben einsickern soll. Das klingt gut, aber viel gewonnen wäre ja schon, wenn das Klima der Stadt vor dem tiefen Schlaf in der Tristesse gefeit wäre. Ihr Kennzeichen ist die Farbe Grau; der große Pianist Glenn Gould hat sie die Schlachtschiff-Farbe genannt. 365 Tage hat Turku Zeit zur Kosmetik.

(RP)
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